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565âZeitfigurenâ
1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ
Mit solchen und weiteren eindrĂŒcklichen Proben des völkischen Diskur-
ses holt Musil eine Ă€uĂerst wirkungsmĂ€chtige zeitgeschichtliche Denkform
und Redeweise in seinen Roman.685 Die ideologiegeschichtliche Lokalisierung
und ideologiekritische Motivierung der von Hans Sepp vertretenen Ideolo-
geme durch den essayistischen ErzÀhler geschieht allerdings relativ versteckt :
So erfĂ€hrt man zunĂ€chst nur, dass sich die besagten âfreien Geistessektenâ
in der deutschen Jugend âseit dem Zerfall des humanistischen Idealsâ (MoE
313) ausgebreitet haben ; konkrete Hinweise auf sozial- und kulturgeschichtli-
che HintergrĂŒnde des völkischen Denkens sind zwar durchaus in verstreuter
Form vorhanden, mĂŒssen aber durch die Analyse erst systematisch zusam-
mengefĂŒhrt werden. Hier ist eine rekonstruktive historische Kontextualisie-
rung dienlich, die zudem der von Cornelia Blasberg fĂŒr den Mann ohne Eigen-
schaften diagnostizierten âdoppelten Zeitstruktur von romaninterner AktualitĂ€t
(1913/14) und der AktualitĂ€t fĂŒr den Schreibenden (1918â1942)â686 gerecht
zu werden hat, indem sie sowohl die Ebene der erzÀhlten Zeit wie die der
ErzÀhlzeit in Betracht zieht. Erst durch eine solche auch soziologisch infor-
mierte Rekontextualisierung wird offensichtlich, wie akkurat Musil in seiner
romanesken Rekonstruktion des deutschnationalen Milieus verfÀhrt.687
In seinem Buch ĂŒber das Wien der Jahrhundertwende hat Michael Pollak
daran erinnert, dass âdie studentische soziale Basisâ der deutschnationalen Be-
wegung in Ăsterreich eine bis 1848 zurĂŒckreichende Tradition hat ; seit da-
mals habe hier âdie Verwendung des Themas Deutschtum als Mittel der Sub-
version der innerhalb des intellektuellen Feldes zwischen den Generationen
herrschenden KrĂ€fteverhĂ€ltnisseâ fungiert.688 Die im Wiener Wagnerkult689
685 Vgl. Fuchs : Geistige Strömungen in Ăsterreich, S. 194 : âDie deutsche oder âarischeâ Weltan-
schauung war um 1900 in Ăsterreich geradezu Mode. Sie wurde hĂ€ufig selbst von Juden akzep-
tiert, und zwar einschlieĂlich des Antisemitismus.â
686 Blasberg : Krise und Utopie der Intellektuellen, S. 8.
687 Er vermeidet dabei monokausale ErklĂ€rungsmuster, wie sie etwa die marxistische ZurĂŒckfĂŒh-
rung des österreichischen Deutschnationalismus auf die Machenschaften des âdeutsche[n]
Monopolkapitalismusâ bietet ; vgl. Fuchs : Geistige Strömungen in Ăsterreich, S. 171 u. bes.
S. 195 : âErst die raffinierte Kombination der politischen mit der kulturellen, der offenen mit der
getarnten Propaganda gab ihm [dem âdeutschen Monopolkapitalismusâ, N. C. W.] die Möglich-
keit, hunderttausende Ăsterreicher zu bewuĂten und unbewuĂten Imperialisten zu machen.
Die verhÀngnisvollen Tendenzen, die uns am Ende des franzisco-josephinischen Zeitalters in
manchen Volksschichten begegnen ; die MiĂachtung der Demokratie, der rassische Antisemi-
tismus, der HaĂ gegen das Slawentum â sie sind nicht von selber entstanden, sondern durch
MiĂbrauch sĂ€mtlicher Methoden der modernen Volkserziehung kĂŒnstlich geschaffen worden.â
688 Pollak : Wien 1900, S. 103.
689 Vgl. ebd., S. 118, zu dem 1883 von den âdeutschenâ Studenten Wiens veranstalteten Trauer-
kommers anlĂ€sslich des Todes von Richard Wagner, angesichts dessen deutlich wurde, âdaĂ
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Buch Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts"
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Titel
- Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
- Untertitel
- Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Autor
- Norbert Christian Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78740-2
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 1224
- Schlagwörter
- Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
- Kategorie
- Geisteswissenschaften
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 9
- Einleitung 11
- TEIL I : GRUNDLEGUNG
- TEIL II : ROMANTEXT ALS KRĂFTEFELD
- 1. âVersuchsstation des Weltuntergangsâ : Chronotopos und sozialer Raum 261
- 2. âZeitfigurenâ 1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
- Erben und Enterbte 344
- Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) â Der Dilettant Walter 347
- Mann mit Eigenschaften 378
- Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
- Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
- Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
- Aufsteiger und Gebremste 482
- Realpolitik als âAntiessayismusâ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) â Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und âJudeâ 501
- Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
- Terroristen und Propheten 548
- Forcierte âEigenschaftlichkeitâ : Der Antisemit Hans Sepp 558
- eingast, Faschist und Schwerenöter 584
- Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist SchmeiĂer 601
- Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem âGeiste des Expressionismusâ 613
- Gefallene Geliebte 643
- Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
- Petrifizierte âEigenschaftlichkeitâ, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
- Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
- Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
- Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
- Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
- Angepasste und Dissidentinnen 708
- Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
- Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
- 3. âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ : Konstellationen und Interaktionen 768
- Ehen in der Krise 781
- Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die âTrĂ€ger des Zeit- wandelsâ Walter und Clarisse 788
- Von der physiologischen âZwangsherrschaftâ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
- Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
- Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
- Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der âschönen Seeleâ : Ulrich und Bonadea 825
- Coitus interruptus als âLustselbstmordâ : Ulrich und Gerda 844
- Liebesversuche jenseits der Ehe 885
- Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
- Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
- Liebe Ă la hausse, platonische âBegegnung zweier Berggipfelâ : Diotima und Arnheim 908
- Die âletzte Liebesgeschichteâ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
- 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
- Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
- Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, PreuĂen gegen Ăsterreich 1005
- Der Intellektuelle und der GroĂschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
- Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
- Entgegengesetzte âExponenten des Zeitgeistesâ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
- BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
- BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und SchmeiĂer 1086
- TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
- Literaturverzeichnis 1169
- Musil-Texte 1169
- Andere Quellen 1169
- Nachschlagewerke 1176
- Allgemeine Forschungsliteratur 1176
- SekundÀrliteratur zu Musil 1193
- Register 1208