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Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
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645„Zeitfiguren“ 1913/1930 „am gesellschaftlichen Schachbrett“ immer nur hastig und heimlich wie eine verbotene Sache getan.“907 Die genann- ten UmstĂ€nde schrĂ€nken jedenfalls die Wahrscheinlichkeit des Entstehens von zumindest mittelfristigem GlĂŒck von vornherein gewaltig ein. Neben dem Aushalten einer MĂ€tresse existierte im Wiener Fin de SiĂšcle fĂŒr paarungswillige MĂ€nner noch „die Möglichkeit der Beziehung zu einem jener amphibischen Wesen, die halb außerhalb, halb innerhalb der Gesell- schaft standen, Schauspielerinnen, TĂ€nzerinnen, KĂŒnstlerinnen, den einzig ‚emanzipierten‘ Frauen jener Zeit“908. Mit ihnen hat sich eher Musil selbst als seine Romanfigur Ulrich eingelassen. „Aber im allgemeinen blieb das Funda- ment des damaligen erotischen Lebens außerhalb der Ehe die Prostitution ; sie stellte gewissermaßen das dunkle Kellergewölbe dar, ĂŒber dem sich mit makellos blendender Fassade der Prunkbau der bĂŒrgerlichen Gesellschaft erhob.“909 Zweig zufolge waren seinerzeit in Wien „die Gehsteige derart durchsprenkelt mit kĂ€uflichen Frauen, daß es schwerer hielt, ihnen auszuwei- chen, als sie zu finden“910. Auch Ulrich hat im berĂŒhmten „Heimweg“-Kapi- tel ein entsprechendes Erlebnis mit einer Prostituierten, die er „fast wie ein BĂŒffel ĂŒberrannt“ hat, verzichtet aber, obwohl „es ihn nach ihrer Zuneigung verlang[t]“, auf die angebotenen Dienste ; er drĂŒckt nur „eine Geldnote, die ungefĂ€hr dem Werte eines Besuchs entsprach, dem MĂ€dchen in die Hand“ und geht weiter (MoE 651 f.), womit er seine Wandlung im VerhĂ€ltnis zu Frauen andeutet, die den Übergang zum Zweiten Buch einleitet. Die von Zweig angefĂŒhrten und von Schnitzlers Autobiografie bestĂ€tig- ten911 Möglichkeiten vor- und außerehelicher zwischengeschlechtlicher Be- ziehungen in Wien um 1900 fĂŒhren plastisch vor Augen, wie sich die von der Soziologie diagnostizierte Struktur ‚mĂ€nnlicher Herrschaft‘ in einer Gesell- schaft im Übergang zur Moderne niederschlĂ€gt, die sich zwar am Beginn eines gewaltigen MentalitĂ€tsumbruchs befindet, in der aber noch die alten Wahr- nehmungs- und Bewertungsschemata wirksam sind : 907 Ebd. 908 Ebd. 909 Ebd., S. 103 f. 910 Ebd., S. 104. Vgl. dazu Pollak : Wien 1900, S. 216 : „Ab 1873, dem ersten Jahr der offiziellen Registrierung der Prostituierten anlĂ€ĂŸlich der Weltausstellung, war der ĂŒberwiegende Teil der ca. 1.500 registrierten MĂ€dchen minderjĂ€hrig, also zwischen vierzehn und zwanzig Jahre alt. Diese Zahlen reprĂ€sentieren jedoch tatsĂ€chlich nur eine Minderheit der Prostitution, da viele der gesundheitspolizeilichen Kontrolle entgingen. Gegen Ende des Kaiserreiches sollte es in Wien 40.000 Prostituierte geben, von denen weniger als 7.000 registriert waren. Diese Zahlen deuten auf einen blĂŒhenden Markt an jungen MĂ€dchen hin.“ 911 Vgl. Schnitzler : Jugend in Wien, S. 279 f.
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Kakanien als Gesellschaftskonstruktion Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
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Title
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Subtitle
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
Author
Norbert Christian Wolf
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2011
Language
German
License
CC BY-NC-ND 3.0
ISBN
978-3-205-78740-2
Size
15.5 x 23.0 cm
Pages
1224
Keywords
Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
Category
Geisteswissenschaften

Table of contents

  1. Vorbemerkung 9
  2. Einleitung 11
    1. 1. Vom Scheitern eines Großkritikers : Aporien der Literaturkritik 11
    2. 2. Die MĂŒhen der Literaturwissenschaft : Aporien der Forschung 20
  3. TEIL I : GRUNDLEGUNG
    1. 1. Grundlagen der Untersuchung 43
      1. 1.1 Vorstellung der Methode : Bourdieus Sozioanalyse literarischer Texte 43
      2. 1.2 Methodologische EinwÀnde : Kritik der Sozioanalyse 58
    2. 2. Grundlagen der Poetik Musils 64
      1. 2.1 Der Mensch ohne Eigenschaften : ‚Gestaltlosigkeit‘ als ‚negative‘ Anthropologie 64
      2. 2.2 ‚Gestaltlosigkeit‘ und Romantext als Gesellschaftskonstruktion 80
    3. Gesellschaft im Roman 82
    4. Roman als Konstruktion 101
    5. Da capo : Angemessenheit und Vorgehensweise der Sozioanalyse 124
      1. 2.3 Medienkonkurrenz : Essayistisches vs. filmisches ErzÀhlen (Musil kontra Balåzs) 129
    6. 3. Grundbegriffe des Romankonzepts 165
      1. 3.1 Eigenschaftslosigkeit 165
      2. 3.2 Möglichkeitssinn und Essayismus 199
  4. TEIL II : ROMANTEXT ALS KRÄFTEFELD
    1. 1. „Versuchsstation des Weltuntergangs“ : Chronotopos und sozialer Raum 261
      1. 1.1 SelbstreferenzialitĂ€t und Außenreferenz : Das Eingangskapitel 261
      2. 1.2 Ein Land ohne Eigenschaften – Kakanien als Modell 282
      3. 1.3 Das Feld der Macht im Mann ohne Eigenschaften 300
    2. 2. „Zeitfiguren“ 1913/1930 „am gesellschaftlichen Schachbrett“ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
      1. 2.1 MĂ€nner 334
    3. Erben und Enterbte 344
    4. Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) – Der Dilettant Walter 347
    5. Mann mit Eigenschaften 378
    6. Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
    7. Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
    8. Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
    9. Aufsteiger und Gebremste 482
    10. Realpolitik als ‚Antiessayismus‘ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) – Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und ‚Jude‘ 501
    11. Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
    12. Terroristen und Propheten 548
    13. Forcierte ‚Eigenschaftlichkeit‘ : Der Antisemit Hans Sepp 558
    14. eingast, Faschist und Schwerenöter 584
    15. Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist Schmeißer 601
    16. Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem „Geiste des Expressionismus“ 613
      1. 2.2 Frauen 635
    17. Gefallene Geliebte 643
    18. Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
    19. Petrifizierte ‚Eigenschaftlichkeit‘, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
    20. Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
    21. Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
    22. Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
    23. Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
    24. Angepasste und Dissidentinnen 708
    25. Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
    26. Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
    27. 3. „Die falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaft“ : Konstellationen und Interaktionen 768
      1. 3.1 Gemischtgeschlechtliche Konstellationen : MĂ€nner und Frauen im 20. Jahrhundert 771
    28. Ehen in der Krise 781
    29. Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die „TrĂ€ger des Zeit- wandels“ Walter und Clarisse 788
    30. Von der physiologischen „Zwangsherrschaft“ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
    31. Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
    32. Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
    33. Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der ‚schönen Seele‘ : Ulrich und Bonadea 825
    34. Coitus interruptus als „Lustselbstmord“ : Ulrich und Gerda 844
    35. Liebesversuche jenseits der Ehe 885
    36. Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
    37. Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
    38. Liebe à la hausse, platonische „Begegnung zweier Berggipfel“ : Diotima und Arnheim 908
    39. Die „letzte Liebesgeschichte“ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
    40. 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
    41. Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
    42. Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, Preußen gegen Österreich 1005
    43. Der Intellektuelle und der Großschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
    44. Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
    45. Entgegengesetzte „Exponenten des Zeitgeistes“ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
    46. BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
  5. BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und Schmeißer 1086
  6. TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
    1. 1. Der Mann ohne Eigenschaften im zeitgenössischen literarischen Feld 1099
      1. 1.1 ‚Negative‘ Anthropologie als literaturpolitischer Einsatz 1101
      2. 1.2 Poetik des Essayismus – Musils vielfacher Bruch 1130
    2. 2. Autor und Romanheld in der Moderne – Musils indirekte Selbstanalyse 1152
  7. Literaturverzeichnis 1169
  8. Musil-Texte 1169
  9. Andere Quellen 1169
  10. Nachschlagewerke 1176
  11. Allgemeine Forschungsliteratur 1176
  12. SekundÀrliteratur zu Musil 1193
  13. Register 1208
    1. 1. Personen 1208
    2. 2. Literarische Figuren 1214
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