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Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
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718 Teil II: Romantext als KrĂ€ftefeld Die mĂŒhelos und ‚natĂŒrlich‘ wirkende und umso ĂŒberzeugendere Geistigkeit der SalonniĂšre ist Teil eines Habitus, der perfekt auf den ihn umgebenden sozialen Raum abgestimmt erscheint und sich in Auseinandersetzung mit diesem stetig weiterentwickelt – eines Habitus nĂ€mlich, der in der spieleri- schen Konversation ĂŒber Kultur gesellschaftliche Interessen und Konkurrenz elegant zu verschleiern vermag und damit zugleich einen Profit an Aner- kennung erzielt, der ĂŒberdies ein dichtes Beziehungsnetz zur Beförderung, Beschleunigung oder Absicherung von Karrieren zu spinnen vermag, was dann wiederum auch das eigene soziale Kapital der SalonniĂšre steigert. Di- otimas Erfahrung ihres unverhofften, schier unaufhörlichen sozialen Auf- stiegs schlĂ€gt sich habituell in einer erstaunlichen Selbstsicherheit nieder, in jenem „GefĂŒhl der Position“, das an Goffmans sense of one’s place erinnert und „das der Tochter eines bescheidenen Mittelschullehrers und jungen Gattin eines bĂŒrgerlichen Vizekonsuls, die sie ungeachtet ihres Aufstiegs in den fri- schesten Teilen ihres Wesens bisher doch wohl geblieben war“, erst spĂ€t und unvermittelt „zu Bewußtsein“ kommt (MoE 227). Ausdruck davon ist auch ihr „ÜberlegenheitsbedĂŒrfnis“ (MoE 283) sowie ihre veritable Aufstiegsge- wissheit : „Diotima gehörte zu den Menschen, die mit sich zufrieden sind und darum ihre Altersstufen wie eine Treppe ansehen, die von unten nach oben fĂŒhrt.“ (MoE 290) Bei aller Betonung dieser geradezu idealen habituellen Ausstattung fĂŒr eine SalonniĂšre lĂ€sst der ErzĂ€hler nicht unerwĂ€hnt, dass der Tuzzi’sche Salon „erst durch die Freundschaft Diotimas mit Sr. Erlaucht dem Grafen Leins- dorf“ tatsĂ€chlich zu „einem feststehenden Begriff wurde“, womit er die vor 1918 symbolisch nach wie vor dominante Rolle des österreichischen Adels verdeutlicht : „Durch sein Wohlwollen gewann Diotimas Salon nicht nur eine unerschĂŒtterliche Stellung, sondern erfĂŒllte, wie er sich auszudrĂŒcken pflegte, ein Amt.“ (MoE 98) Historisch signifikant fĂŒr die stets multinatio- nale, österreichisch-patriotische und habsburgisch-antipreußische Ausrich- tung der maßgeblichen Wiener Salons1133, wĂ€hlt Leinsdorf den bĂŒrgerlichen Salon Diotimas fĂŒr „die große patriotische Aktion“ nicht ohne Nebengedan- ken zum „Mittelpunkt“, da er aus politischen OpportunitĂ€tsgrĂŒnden darauf achten muss, den gesellschaftlich nach wie vor dominanten „Adel nicht zu exponieren“ (MoE 106), sondern als dessen Angehöriger mehr aus dem Hin- 1133 Bezeugt etwa von Ackerl, ebd., S. 697, 700 u. 708. Zu der symbolisch wichtigen Rolle von Mitgliedern des Kaiserhauses oder anderen – in der Regel hochadeligen – fĂŒhrenden Persön- lichkeiten des Wiener öffentlichen Lebens fĂŒr die karitativen Veranstaltungen etwa des Salons Metternich vgl. ebd., S. 698.
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Kakanien als Gesellschaftskonstruktion Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
FWF-E-Book-Library
Title
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Subtitle
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
Author
Norbert Christian Wolf
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2011
Language
German
License
CC BY-NC-ND 3.0
ISBN
978-3-205-78740-2
Size
15.5 x 23.0 cm
Pages
1224
Keywords
Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
Category
Geisteswissenschaften

Table of contents

  1. Vorbemerkung 9
  2. Einleitung 11
    1. 1. Vom Scheitern eines Großkritikers : Aporien der Literaturkritik 11
    2. 2. Die MĂŒhen der Literaturwissenschaft : Aporien der Forschung 20
  3. TEIL I : GRUNDLEGUNG
    1. 1. Grundlagen der Untersuchung 43
      1. 1.1 Vorstellung der Methode : Bourdieus Sozioanalyse literarischer Texte 43
      2. 1.2 Methodologische EinwÀnde : Kritik der Sozioanalyse 58
    2. 2. Grundlagen der Poetik Musils 64
      1. 2.1 Der Mensch ohne Eigenschaften : ‚Gestaltlosigkeit‘ als ‚negative‘ Anthropologie 64
      2. 2.2 ‚Gestaltlosigkeit‘ und Romantext als Gesellschaftskonstruktion 80
    3. Gesellschaft im Roman 82
    4. Roman als Konstruktion 101
    5. Da capo : Angemessenheit und Vorgehensweise der Sozioanalyse 124
      1. 2.3 Medienkonkurrenz : Essayistisches vs. filmisches ErzÀhlen (Musil kontra Balåzs) 129
    6. 3. Grundbegriffe des Romankonzepts 165
      1. 3.1 Eigenschaftslosigkeit 165
      2. 3.2 Möglichkeitssinn und Essayismus 199
  4. TEIL II : ROMANTEXT ALS KRÄFTEFELD
    1. 1. „Versuchsstation des Weltuntergangs“ : Chronotopos und sozialer Raum 261
      1. 1.1 SelbstreferenzialitĂ€t und Außenreferenz : Das Eingangskapitel 261
      2. 1.2 Ein Land ohne Eigenschaften – Kakanien als Modell 282
      3. 1.3 Das Feld der Macht im Mann ohne Eigenschaften 300
    2. 2. „Zeitfiguren“ 1913/1930 „am gesellschaftlichen Schachbrett“ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
      1. 2.1 MĂ€nner 334
    3. Erben und Enterbte 344
    4. Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) – Der Dilettant Walter 347
    5. Mann mit Eigenschaften 378
    6. Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
    7. Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
    8. Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
    9. Aufsteiger und Gebremste 482
    10. Realpolitik als ‚Antiessayismus‘ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) – Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und ‚Jude‘ 501
    11. Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
    12. Terroristen und Propheten 548
    13. Forcierte ‚Eigenschaftlichkeit‘ : Der Antisemit Hans Sepp 558
    14. eingast, Faschist und Schwerenöter 584
    15. Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist Schmeißer 601
    16. Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem „Geiste des Expressionismus“ 613
      1. 2.2 Frauen 635
    17. Gefallene Geliebte 643
    18. Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
    19. Petrifizierte ‚Eigenschaftlichkeit‘, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
    20. Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
    21. Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
    22. Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
    23. Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
    24. Angepasste und Dissidentinnen 708
    25. Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
    26. Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
    27. 3. „Die falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaft“ : Konstellationen und Interaktionen 768
      1. 3.1 Gemischtgeschlechtliche Konstellationen : MĂ€nner und Frauen im 20. Jahrhundert 771
    28. Ehen in der Krise 781
    29. Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die „TrĂ€ger des Zeit- wandels“ Walter und Clarisse 788
    30. Von der physiologischen „Zwangsherrschaft“ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
    31. Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
    32. Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
    33. Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der ‚schönen Seele‘ : Ulrich und Bonadea 825
    34. Coitus interruptus als „Lustselbstmord“ : Ulrich und Gerda 844
    35. Liebesversuche jenseits der Ehe 885
    36. Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
    37. Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
    38. Liebe à la hausse, platonische „Begegnung zweier Berggipfel“ : Diotima und Arnheim 908
    39. Die „letzte Liebesgeschichte“ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
    40. 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
    41. Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
    42. Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, Preußen gegen Österreich 1005
    43. Der Intellektuelle und der Großschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
    44. Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
    45. Entgegengesetzte „Exponenten des Zeitgeistes“ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
    46. BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
  5. BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und Schmeißer 1086
  6. TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
    1. 1. Der Mann ohne Eigenschaften im zeitgenössischen literarischen Feld 1099
      1. 1.1 ‚Negative‘ Anthropologie als literaturpolitischer Einsatz 1101
      2. 1.2 Poetik des Essayismus – Musils vielfacher Bruch 1130
    2. 2. Autor und Romanheld in der Moderne – Musils indirekte Selbstanalyse 1152
  7. Literaturverzeichnis 1169
  8. Musil-Texte 1169
  9. Andere Quellen 1169
  10. Nachschlagewerke 1176
  11. Allgemeine Forschungsliteratur 1176
  12. SekundÀrliteratur zu Musil 1193
  13. Register 1208
    1. 1. Personen 1208
    2. 2. Literarische Figuren 1214
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