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718 Teil II: Romantext als KrÀftefeld
Die mĂŒhelos und ânatĂŒrlichâ wirkende und umso ĂŒberzeugendere Geistigkeit
der SalonniĂšre ist Teil eines Habitus, der perfekt auf den ihn umgebenden
sozialen Raum abgestimmt erscheint und sich in Auseinandersetzung mit
diesem stetig weiterentwickelt â eines Habitus nĂ€mlich, der in der spieleri-
schen Konversation ĂŒber Kultur gesellschaftliche Interessen und Konkurrenz
elegant zu verschleiern vermag und damit zugleich einen Profit an Aner-
kennung erzielt, der ĂŒberdies ein dichtes Beziehungsnetz zur Beförderung,
Beschleunigung oder Absicherung von Karrieren zu spinnen vermag, was
dann wiederum auch das eigene soziale Kapital der SalonniĂšre steigert. Di-
otimas Erfahrung ihres unverhofften, schier unaufhörlichen sozialen Auf-
stiegs schlÀgt sich habituell in einer erstaunlichen Selbstsicherheit nieder, in
jenem âGefĂŒhl der Positionâ, das an Goffmans sense of oneâs place erinnert und
âdas der Tochter eines bescheidenen Mittelschullehrers und jungen Gattin
eines bĂŒrgerlichen Vizekonsuls, die sie ungeachtet ihres Aufstiegs in den fri-
schesten Teilen ihres Wesens bisher doch wohl geblieben warâ, erst spĂ€t und
unvermittelt âzu BewuĂtseinâ kommt (MoE 227). Ausdruck davon ist auch
ihr âĂberlegenheitsbedĂŒrfnisâ (MoE 283) sowie ihre veritable Aufstiegsge-
wissheit : âDiotima gehörte zu den Menschen, die mit sich zufrieden sind
und darum ihre Altersstufen wie eine Treppe ansehen, die von unten nach
oben fĂŒhrt.â (MoE 290)
Bei aller Betonung dieser geradezu idealen habituellen Ausstattung fĂŒr
eine SalonniĂšre lĂ€sst der ErzĂ€hler nicht unerwĂ€hnt, dass der Tuzziâsche Salon
âerst durch die Freundschaft Diotimas mit Sr. Erlaucht dem Grafen Leins-
dorfâ tatsĂ€chlich zu âeinem feststehenden Begriff wurdeâ, womit er die vor
1918 symbolisch nach wie vor dominante Rolle des österreichischen Adels
verdeutlicht : âDurch sein Wohlwollen gewann Diotimas Salon nicht nur
eine unerschĂŒtterliche Stellung, sondern erfĂŒllte, wie er sich auszudrĂŒcken
pflegte, ein Amt.â (MoE 98) Historisch signifikant fĂŒr die stets multinatio-
nale, österreichisch-patriotische und habsburgisch-antipreuĂische Ausrich-
tung der maĂgeblichen Wiener Salons1133, wĂ€hlt Leinsdorf den bĂŒrgerlichen
Salon Diotimas fĂŒr âdie groĂe patriotische Aktionâ nicht ohne Nebengedan-
ken zum âMittelpunktâ, da er aus politischen OpportunitĂ€tsgrĂŒnden darauf
achten muss, den gesellschaftlich nach wie vor dominanten âAdel nicht zu
exponierenâ (MoE 106), sondern als dessen Angehöriger mehr aus dem Hin-
1133 Bezeugt etwa von Ackerl, ebd., S. 697, 700 u. 708. Zu der symbolisch wichtigen Rolle von
Mitgliedern des Kaiserhauses oder anderen â in der Regel hochadeligen â fĂŒhrenden Persön-
lichkeiten des Wiener öffentlichen Lebens fĂŒr die karitativen Veranstaltungen etwa des Salons
Metternich vgl. ebd., S. 698.
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Buch Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts"
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Titel
- Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
- Untertitel
- Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Autor
- Norbert Christian Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78740-2
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 1224
- Schlagwörter
- Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
- Kategorie
- Geisteswissenschaften
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 9
- Einleitung 11
- TEIL I : GRUNDLEGUNG
- TEIL II : ROMANTEXT ALS KRĂFTEFELD
- 1. âVersuchsstation des Weltuntergangsâ : Chronotopos und sozialer Raum 261
- 2. âZeitfigurenâ 1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
- Erben und Enterbte 344
- Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) â Der Dilettant Walter 347
- Mann mit Eigenschaften 378
- Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
- Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
- Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
- Aufsteiger und Gebremste 482
- Realpolitik als âAntiessayismusâ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) â Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und âJudeâ 501
- Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
- Terroristen und Propheten 548
- Forcierte âEigenschaftlichkeitâ : Der Antisemit Hans Sepp 558
- eingast, Faschist und Schwerenöter 584
- Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist SchmeiĂer 601
- Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem âGeiste des Expressionismusâ 613
- Gefallene Geliebte 643
- Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
- Petrifizierte âEigenschaftlichkeitâ, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
- Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
- Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
- Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
- Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
- Angepasste und Dissidentinnen 708
- Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
- Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
- 3. âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ : Konstellationen und Interaktionen 768
- Ehen in der Krise 781
- Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die âTrĂ€ger des Zeit- wandelsâ Walter und Clarisse 788
- Von der physiologischen âZwangsherrschaftâ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
- Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
- Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
- Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der âschönen Seeleâ : Ulrich und Bonadea 825
- Coitus interruptus als âLustselbstmordâ : Ulrich und Gerda 844
- Liebesversuche jenseits der Ehe 885
- Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
- Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
- Liebe Ă la hausse, platonische âBegegnung zweier Berggipfelâ : Diotima und Arnheim 908
- Die âletzte Liebesgeschichteâ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
- 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
- Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
- Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, PreuĂen gegen Ăsterreich 1005
- Der Intellektuelle und der GroĂschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
- Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
- Entgegengesetzte âExponenten des Zeitgeistesâ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
- BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
- BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und SchmeiĂer 1086
- TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
- Literaturverzeichnis 1169
- Musil-Texte 1169
- Andere Quellen 1169
- Nachschlagewerke 1176
- Allgemeine Forschungsliteratur 1176
- SekundÀrliteratur zu Musil 1193
- Register 1208