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âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ 783
reproduzieren und fĂŒr den beruflichen Existenzkampf âden RĂŒcken frei habenâ. Die
materiellen Aspekte waren dabei fĂŒr beide Teile von Bedeutung, denn schlieĂlich war
ja gerade die angestrebte HĂ€uslichkeit nicht zuletzt eine Frage des Geldes und der
materiellen Sicherheit.46
Bei der erstaunlichen StabilitĂ€t der ĂŒberkommenen Geschlechterordnung und
der damit einhergehenden Rollenzuschreibungen insgesamt sollten allerdings
nicht die Verschiebungen âunterhalbâ der gleichbleibenden OberflĂ€che ĂŒberse-
hen werden. So war im 19. Jahrhundert etwa neu,
daĂ der bĂŒrgerliche Mann seine AutoritĂ€t weitgehend nicht mehr durch innerhĂ€us-
liche Arbeit abstĂŒtzte, sondern durch Arbeit auĂer Haus, im Kontor, BĂŒro oder Ge-
schĂ€ft, an Orten also, die der Frau in aller Regel unzugĂ€nglich und nicht âeinsichtigâ
waren. Die Folge war, daĂ die wirtschaftlichen, politischen und sozialen Zusammen-
hĂ€nge â metaphorisch âdie Weltâ â zur DomĂ€ne des Mannes, âdas Heimâ zum Bereich
der Frau wurde. Das hatte sowohl fĂŒr die realen Lebens- und Arbeitsperspektiven der
Geschlechter als auch fĂŒr deren ideologische Typisierung weitreichende Folgen.47
Hierin liegt der sozialhistorische Hintergrund fĂŒr die vielleicht despektierlich
anmutenden Worte aus Musils Essay Die Frau gestern und morgen, die im ein-
leitenden Abschnitt zu den weiblichen Figuren des Mann ohne Eigenschaften
bereits angefĂŒhrt wurden :
Man muĂ sich vergegenwĂ€rtigen, daĂ ursprĂŒnglich der TĂ€tigkeitskreis der Hauswirt-
schaft genĂŒgend groĂ und vielfĂ€ltig gewesen ist, um einen ganzen Menschen zu brau-
chen, wĂ€hrend schlieĂlich nur noch Kleinlichkeiten davon ĂŒbriggeblieben waren, die
aber immer noch in Verbindung gebracht wurden mit dem lĂ€ngst dafĂŒr zu groĂ ge-
wordenen Begriff der schaltenden Hausfrau ; aus der mÀchtigen Bundesgenossin des
Mannes ist auf diese Weise zuletzt ein etwas lĂ€cherliches HausmĂŒtterchen geworden,
das albern von seiner TÀtigkeit schwÀtzte. (GW 8, 1196)
Die Ergebnisse der heutigen historischen Anthropologie bestÀtigen Musils
zeitgenössische Diagnose :
Der AutoritÀtsanspruch des Mannes wurde durch seine aushÀusige Erwerbsarbeit,
durch seine berufliche Qualifikation â die Voraussetzung seines Erfolges â sachlich
46 Ebd.
47 Ebd., S. 134.
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Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Title
- Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
- Subtitle
- Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Author
- Norbert Christian Wolf
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78740-2
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 1224
- Keywords
- Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
- Category
- Geisteswissenschaften
Table of contents
- Vorbemerkung 9
- Einleitung 11
- TEIL I : GRUNDLEGUNG
- TEIL II : ROMANTEXT ALS KRĂFTEFELD
- 1. âVersuchsstation des Weltuntergangsâ : Chronotopos und sozialer Raum 261
- 2. âZeitfigurenâ 1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
- Erben und Enterbte 344
- Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) â Der Dilettant Walter 347
- Mann mit Eigenschaften 378
- Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
- Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
- Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
- Aufsteiger und Gebremste 482
- Realpolitik als âAntiessayismusâ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) â Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und âJudeâ 501
- Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
- Terroristen und Propheten 548
- Forcierte âEigenschaftlichkeitâ : Der Antisemit Hans Sepp 558
- eingast, Faschist und Schwerenöter 584
- Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist SchmeiĂer 601
- Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem âGeiste des Expressionismusâ 613
- Gefallene Geliebte 643
- Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
- Petrifizierte âEigenschaftlichkeitâ, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
- Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
- Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
- Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
- Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
- Angepasste und Dissidentinnen 708
- Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
- Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
- 3. âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ : Konstellationen und Interaktionen 768
- Ehen in der Krise 781
- Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die âTrĂ€ger des Zeit- wandelsâ Walter und Clarisse 788
- Von der physiologischen âZwangsherrschaftâ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
- Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
- Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
- Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der âschönen Seeleâ : Ulrich und Bonadea 825
- Coitus interruptus als âLustselbstmordâ : Ulrich und Gerda 844
- Liebesversuche jenseits der Ehe 885
- Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
- Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
- Liebe Ă la hausse, platonische âBegegnung zweier Berggipfelâ : Diotima und Arnheim 908
- Die âletzte Liebesgeschichteâ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
- 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
- Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
- Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, PreuĂen gegen Ăsterreich 1005
- Der Intellektuelle und der GroĂschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
- Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
- Entgegengesetzte âExponenten des Zeitgeistesâ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
- BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
- BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und SchmeiĂer 1086
- TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
- Literaturverzeichnis 1169
- Musil-Texte 1169
- Andere Quellen 1169
- Nachschlagewerke 1176
- Allgemeine Forschungsliteratur 1176
- SekundÀrliteratur zu Musil 1193
- Register 1208