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Teil II: Romantext als
KrÀftefeld836
Autonomie als Subjekt beraubt, indem alle ihre Handlungen auf ânatĂŒrlicheâ
Triebe zurĂŒckfĂŒhrbar erscheinen. Dass solche Vorstellungen noch im 20. Jahr-
hundert recht gelĂ€ufig waren, zeigt ein Blick auf das System der Ăsthetik (1910)
des Musil-Zeitgenossen Johannes Volkelt, der sich mit Schiller darĂŒber einig
weiĂ, dass der anmutige âMenschheitstypus ganz besonders in der weiblichen
Seele einen gĂŒnstigen Boden fĂŒr seine Verwirklichung findetâ176. Wie die fe-
ministische Kritik gezeigt hat, erscheint in solchen Konzeptionen eine weibli-
che âSelbstverleugnung und Selbstlosigkeitâ zum Ideal erhoben, âdie von den
Sittlichkeitslehren dieser Zeit als durch die Natur prÀdestinierte Eigenschaften
der Frau deklariertâ worden sind.177 Indem nun im Mann ohne Eigenschaften
Bonadea stĂ€ndig daran scheitert, âihre Anlage zum Individuum [zu] bezwin-
gen, damit sie als Naturwesen eine unbewuĂte Harmonie fĂŒr den Mann be-
deuten kannâ178 â und somit an einer ihr von auĂen zugeschriebenen âEigen-
schaftlichkeitâ zuschanden geht â, legt sie indirekt eine konstitutive Aporie der
traditionellen Weiblichkeitsvorstellung offen. Auch fĂŒr sie gilt im Wortsinn die
Formulierung Volkelts :
Die schöne Seele steht offen und dankbar der reichen sinnlichen FĂŒlle der AuĂenwelt
gegenĂŒber und bildet und verinnerlicht sich in regem Austausch mit ihr. Die Lebens-
fĂŒhrung vollzieht sich nicht ausschlieĂlich durch verstandesmĂ€Ăige ErwĂ€gungen und
unter sittlichen Antrieben, sondern es wirken auch Phantasie und Stimmung dabei in
ausschlaggebender Weise mit.179
Im Unterschied zur âschönen Seeleâ jedoch spricht Bonadea zwar unablĂ€ssig
von Moral, handelt aber nicht entsprechend. Auf höchst ironische Weise setzt
Musils ErzÀhlkonstellation damit eine antimoralische Tendenz fort, die sich
latent schon in Kleists dialogischem Essay Ăber das Marionettentheater (1810)
abgezeichnet hat, wonach âin dem MaĂe, als, in der organischen Welt, die
Reflexion dunkler und schwÀcher wird, die Grazie darin immer strahlender
176 Volkelt : System der Ăsthetik, Bd. 2, S. 194. âDas Weib ist durch seine Natur mehr als der
Mann auf freundliches Gleichgewicht der sinnlichen und geistigen Seite angelegt. [âŠ] Ebenso
findet man den abstrakt-wissenschaftlichen Menschentypus und den Typus des rein nur aus
GrundsÀtzen heraus Handelnden weit öfter in der mÀnnlichen als in der weiblichen Welt. Es
lĂ€Ăt sich daher schon vor hier aus erwarten, daĂ besonders die weibliche Seele auf anmutsvolle
ĂuĂerung angelegt sein werde.â
177 Bronfen : Nachwort [zu : Die schöne Seele oder Die Entdeckung der Weiblichkeit], S. 373.
178 So ebd., S. 375.
179 Volkelt : System der Ăsthetik, Bd. 2, S. 193.
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Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Title
- Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
- Subtitle
- Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Author
- Norbert Christian Wolf
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78740-2
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 1224
- Keywords
- Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
- Category
- Geisteswissenschaften
Table of contents
- Vorbemerkung 9
- Einleitung 11
- TEIL I : GRUNDLEGUNG
- TEIL II : ROMANTEXT ALS KRĂFTEFELD
- 1. âVersuchsstation des Weltuntergangsâ : Chronotopos und sozialer Raum 261
- 2. âZeitfigurenâ 1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
- Erben und Enterbte 344
- Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) â Der Dilettant Walter 347
- Mann mit Eigenschaften 378
- Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
- Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
- Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
- Aufsteiger und Gebremste 482
- Realpolitik als âAntiessayismusâ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) â Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und âJudeâ 501
- Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
- Terroristen und Propheten 548
- Forcierte âEigenschaftlichkeitâ : Der Antisemit Hans Sepp 558
- eingast, Faschist und Schwerenöter 584
- Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist SchmeiĂer 601
- Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem âGeiste des Expressionismusâ 613
- Gefallene Geliebte 643
- Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
- Petrifizierte âEigenschaftlichkeitâ, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
- Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
- Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
- Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
- Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
- Angepasste und Dissidentinnen 708
- Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
- Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
- 3. âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ : Konstellationen und Interaktionen 768
- Ehen in der Krise 781
- Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die âTrĂ€ger des Zeit- wandelsâ Walter und Clarisse 788
- Von der physiologischen âZwangsherrschaftâ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
- Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
- Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
- Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der âschönen Seeleâ : Ulrich und Bonadea 825
- Coitus interruptus als âLustselbstmordâ : Ulrich und Gerda 844
- Liebesversuche jenseits der Ehe 885
- Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
- Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
- Liebe Ă la hausse, platonische âBegegnung zweier Berggipfelâ : Diotima und Arnheim 908
- Die âletzte Liebesgeschichteâ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
- 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
- Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
- Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, PreuĂen gegen Ăsterreich 1005
- Der Intellektuelle und der GroĂschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
- Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
- Entgegengesetzte âExponenten des Zeitgeistesâ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
- BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
- BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und SchmeiĂer 1086
- TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
- Literaturverzeichnis 1169
- Musil-Texte 1169
- Andere Quellen 1169
- Nachschlagewerke 1176
- Allgemeine Forschungsliteratur 1176
- SekundÀrliteratur zu Musil 1193
- Register 1208