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âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ 999
Der Herrschende hat vor allem die Macht, die eigene Sicht seiner selbst als objektive
und kollektive Sicht durchzusetzen (wobei die Reiterstandbilder und Herrscherpor-
traits den Extremfall darstellen). Er erreicht es, daĂ die anderen, wie bei der Liebe
oder dem Glauben, auf ihr allgemeines Vermögen der Objektivierung verzichten,
womit er sich als absolutes Subjekt ohne AuĂenwelt konstituiert, das voll und ganz
gerechtfertigt ist, so zu existieren, wie es existiert.628
Mit anderen Worten : âEs ist eine Besonderheit der Herrschenden, daĂ sie in
der Lage sind, ihrer besonderen Seinsweise die Anerkennung zu verschaffen,
die Seinsweise schlechthin zu sein. Die Definition des Exzellenten steckt auf
allen Gebieten voller mÀnnlicher Implikationen, deren Eigenart es ist, nicht als
solche in Erscheinung zu treten.â629 Aus dieser Konstellation entspringt struk-
turell eine unaufhörliche und unerbittlich harte Konkurrenz, in der die um die
Durchsetzung ihrer Definition des âSeinsâ kĂ€mpfenden MĂ€nner unter den Be-
dingungen der âmĂ€nnlichen Herrschaftâ stehen. Die strukturelle Verpflichtung
der MĂ€nner auf den Kampf ist auch Ulrich bewusst, wie der von ihm formu-
lierte âGrundsatzâ zeigt, âdaĂ man rauben, morden und betrĂŒgen dĂŒrfe, so da-
raus Macht, Zivilisation und Glanz entsteheâ (MoE 740). Es handle sich dabei
um âdie allergewöhnlichsten Tatsachenâ, wie er betont, und er fĂŒgt dem gut
nietzscheanisch hinzu : âDie moralische Argumentation ist daneben nur ein
Mittel zum Zweck mehr, ein Kampfmittel, von dem man ungefÀhr ebenso Ge-
brauch macht wie von der LĂŒge. So sieht die von MĂ€nnern geschaffene Welt
aus, und ich wĂŒrde eine Frau sein wollen, wenn nicht â die Frauen die MĂ€nner
liebten !â (MoE 740) Seine schĂ€rfer kaum denkbare Kritik an den historisch
gewachsenen und hĂ€ufig âungleichzeitigenâ Mechanismen und ReprĂ€sentati-
onsformen der MĂ€nnerwelt teilt der Romanheld mit seinem Autor, der im
Schweizer Exil mit Blick auf den geplanten Schlussteil des Mann ohne Eigen-
schaften anlĂ€sslich einer gelegentlichen RelektĂŒre des eigenen Essays Die Frau
gestern und morgen in seinem Arbeitsheft 30 festhĂ€lt : âAuf Hitler, den Konkurs
der Mann-Ideen, wird ein Matriarchat folgen. [âŠ] Eigentlich mĂŒĂte im MoE
von diesen Kapiteln angefangen die geistige FĂŒhrung auf Agathe ĂŒbergehen. FĂŒr
den Mann bleibt die Nicht-Sokratische Ironieâ (Tb 1, 811). Die von Musil mehr
optativ als deskriptiv entworfene Entwicklung ist bekanntlich nicht eingetre-
ten, die âmĂ€nnliche Herrschaftâ sollte im Gegenteil noch auf lĂ€ngere Sicht die
europÀischen Gesellschaften bestimmen. Wie sich diese als unaufhörliche He-
rausforderung wirksame Disposition bei unterschiedlichen mÀnnlichen Figu-
628 Ebd., S. 121 f., Anm. 19.
629 Ebd., S. 110.
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book Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts"
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Title
- Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
- Subtitle
- Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Author
- Norbert Christian Wolf
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78740-2
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 1224
- Keywords
- Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
- Category
- Geisteswissenschaften
Table of contents
- Vorbemerkung 9
- Einleitung 11
- TEIL I : GRUNDLEGUNG
- TEIL II : ROMANTEXT ALS KRĂFTEFELD
- 1. âVersuchsstation des Weltuntergangsâ : Chronotopos und sozialer Raum 261
- 2. âZeitfigurenâ 1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
- Erben und Enterbte 344
- Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) â Der Dilettant Walter 347
- Mann mit Eigenschaften 378
- Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
- Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
- Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
- Aufsteiger und Gebremste 482
- Realpolitik als âAntiessayismusâ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) â Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und âJudeâ 501
- Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
- Terroristen und Propheten 548
- Forcierte âEigenschaftlichkeitâ : Der Antisemit Hans Sepp 558
- eingast, Faschist und Schwerenöter 584
- Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist SchmeiĂer 601
- Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem âGeiste des Expressionismusâ 613
- Gefallene Geliebte 643
- Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
- Petrifizierte âEigenschaftlichkeitâ, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
- Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
- Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
- Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
- Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
- Angepasste und Dissidentinnen 708
- Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
- Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
- 3. âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ : Konstellationen und Interaktionen 768
- Ehen in der Krise 781
- Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die âTrĂ€ger des Zeit- wandelsâ Walter und Clarisse 788
- Von der physiologischen âZwangsherrschaftâ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
- Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
- Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
- Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der âschönen Seeleâ : Ulrich und Bonadea 825
- Coitus interruptus als âLustselbstmordâ : Ulrich und Gerda 844
- Liebesversuche jenseits der Ehe 885
- Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
- Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
- Liebe Ă la hausse, platonische âBegegnung zweier Berggipfelâ : Diotima und Arnheim 908
- Die âletzte Liebesgeschichteâ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
- 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
- Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
- Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, PreuĂen gegen Ăsterreich 1005
- Der Intellektuelle und der GroĂschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
- Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
- Entgegengesetzte âExponenten des Zeitgeistesâ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
- BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
- BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und SchmeiĂer 1086
- TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
- Literaturverzeichnis 1169
- Musil-Texte 1169
- Andere Quellen 1169
- Nachschlagewerke 1176
- Allgemeine Forschungsliteratur 1176
- SekundÀrliteratur zu Musil 1193
- Register 1208