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Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
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Der Mann ohne Eigenschaften im zeitgenössischen literarischen Feld 1139 fĂŒhre nĂ€mlich bloß zu einem „spiritualisierte[n] Naturalismus“ und hĂ€tte eher eine VerklĂ€rung, nicht aber eine analytische Durchdringung der dargestellten menschlichen ‚Durchschnittlichkeit‘ zur Folge ; Joyce produziere bloß „Kurz- formeln der sprachlich orthodoxen Formeln“, die „den sich auf Jahre erstre- ckenden Sprachprozeß“ einfach „kopieren“, nicht aber „den Denkprozeß“ erhellen ; daraus entstĂŒnde „etwas Unlehrhaftes und Wiederanstimmen eines Urgesangs“.128 Wie am Beispiel der Moosbrugger-Figur gezeigt wurde129, er- laubt Musil zufolge erst eine wechselseitige Perspektivierung objektivierender und subjektivierender ErzĂ€hlverfahren ein analytisches Aufbrechen einge- schliffener ‚formelhafter VerkĂŒrzungen‘ und damit eine literarische Darstellung des „inneren Menschen“, die der „Entwicklung der Intelligenz“130 in der Mo- derne standhĂ€lt – im Unterschied zu den subjektivierenden ErzĂ€hlverfahren Joyces und des Expressionismus oder zu den objektivierenden Darstellungs- weisen Döblins und der Neuen Sachlichkeit, die zwar „Filmstreifen denken“ mögen, dabei aber die „determinierende Obervorstellung“ vernachlĂ€ssigen (Br 1, 497) und sich dergestalt auf das gedankliche Niveau ihres Gegenstands begeben. GegenĂŒber solchen formalavantgardistischen Bestrebungen vertritt Musil selber das erklĂ€rte Ansinnen, „die Form des Romans nicht aufzugeben, sondern aufnahmefĂ€hig fĂŒr die Inhalte zu machen, die ihr neu erwachsen sind“131. Mit anderen, auszugsweise bereits zitierten Worten : Proust und Joyce geben, soviel ich davon gesehen habe, einfach der Auflösung nach, durch einen assoziativen Stil mit verschwimmenden Grenzen. Dagegen wĂ€re mein quenzen als sein irischer Kollege und Zeitgenosse. 128 Vgl. seine kritische Nachlassnotiz Joyce im Zusammenhang : „Ein Profil : Der spiritualisierte Naturalismus. – Ein Schritt, der schon 1900 fĂ€llig war. Seine Interpunktion ist naturalistisch. / Dazu gehört auch die ‚UnanstĂ€ndigkeit‘. Anziehung : Wie lebt der Mensch im Durchschnitt ? Verglichen damit praktiziere ich eine heroische Kunstauffassung. / Frage : Wie denkt man ? Seine AbkĂŒrzungen sind : Kurzformeln der sprachlich orthodoxen Formeln. Sie kopieren den sich auf Jahre erstreckenden Sprachprozeß. Nicht den Denkprozeß. [!] / Eine andere Kenn- zeichnung Joyce’s [sic] und der ganzen Richtung der Entwicklung ist : Auflösung. Er gibt dem heutigen aufgelösten Zustand nach und reproduziert ihn durch eine Art freien Assoziierens. Das hat etwas Dichterisches oder den Schein davon ; etwas Unlehrhaftes und Wiederanstim- men eines Urgesangs.“ (GW 7, 858) 129 Vgl. die AusfĂŒhrungen zu Moosbrugger in Kap. II.2.1 ; zum Kontext vgl. Wolf : Warum Moos- brugger nicht erzĂ€hlt, bes. S. 347–350. 130 In einem Brief an seinen Freund Johannes von Allesch vom 15. MĂ€rz 1931 schreibt Musil : „Der Roman unserer Generation (Th. Mann, Joyce, Proust usw.) hat sich allgemein vor der Schwierigkeit befunden, daß die alte NaivitĂ€t des ErzĂ€hlens der Entwicklung der Intelligenz gegenĂŒber nicht mehr ausreicht.“ (Br 1, 504) 131 So der Brief an Walther Petry, 4.3.1931 (BrN 13).
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Kakanien als Gesellschaftskonstruktion Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
FWF-E-Book-Library
Title
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Subtitle
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
Author
Norbert Christian Wolf
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2011
Language
German
License
CC BY-NC-ND 3.0
ISBN
978-3-205-78740-2
Size
15.5 x 23.0 cm
Pages
1224
Keywords
Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
Category
Geisteswissenschaften

Table of contents

  1. Vorbemerkung 9
  2. Einleitung 11
    1. 1. Vom Scheitern eines Großkritikers : Aporien der Literaturkritik 11
    2. 2. Die MĂŒhen der Literaturwissenschaft : Aporien der Forschung 20
  3. TEIL I : GRUNDLEGUNG
    1. 1. Grundlagen der Untersuchung 43
      1. 1.1 Vorstellung der Methode : Bourdieus Sozioanalyse literarischer Texte 43
      2. 1.2 Methodologische EinwÀnde : Kritik der Sozioanalyse 58
    2. 2. Grundlagen der Poetik Musils 64
      1. 2.1 Der Mensch ohne Eigenschaften : ‚Gestaltlosigkeit‘ als ‚negative‘ Anthropologie 64
      2. 2.2 ‚Gestaltlosigkeit‘ und Romantext als Gesellschaftskonstruktion 80
    3. Gesellschaft im Roman 82
    4. Roman als Konstruktion 101
    5. Da capo : Angemessenheit und Vorgehensweise der Sozioanalyse 124
      1. 2.3 Medienkonkurrenz : Essayistisches vs. filmisches ErzÀhlen (Musil kontra Balåzs) 129
    6. 3. Grundbegriffe des Romankonzepts 165
      1. 3.1 Eigenschaftslosigkeit 165
      2. 3.2 Möglichkeitssinn und Essayismus 199
  4. TEIL II : ROMANTEXT ALS KRÄFTEFELD
    1. 1. „Versuchsstation des Weltuntergangs“ : Chronotopos und sozialer Raum 261
      1. 1.1 SelbstreferenzialitĂ€t und Außenreferenz : Das Eingangskapitel 261
      2. 1.2 Ein Land ohne Eigenschaften – Kakanien als Modell 282
      3. 1.3 Das Feld der Macht im Mann ohne Eigenschaften 300
    2. 2. „Zeitfiguren“ 1913/1930 „am gesellschaftlichen Schachbrett“ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
      1. 2.1 MĂ€nner 334
    3. Erben und Enterbte 344
    4. Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) – Der Dilettant Walter 347
    5. Mann mit Eigenschaften 378
    6. Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
    7. Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
    8. Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
    9. Aufsteiger und Gebremste 482
    10. Realpolitik als ‚Antiessayismus‘ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) – Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und ‚Jude‘ 501
    11. Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
    12. Terroristen und Propheten 548
    13. Forcierte ‚Eigenschaftlichkeit‘ : Der Antisemit Hans Sepp 558
    14. eingast, Faschist und Schwerenöter 584
    15. Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist Schmeißer 601
    16. Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem „Geiste des Expressionismus“ 613
      1. 2.2 Frauen 635
    17. Gefallene Geliebte 643
    18. Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
    19. Petrifizierte ‚Eigenschaftlichkeit‘, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
    20. Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
    21. Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
    22. Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
    23. Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
    24. Angepasste und Dissidentinnen 708
    25. Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
    26. Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
    27. 3. „Die falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaft“ : Konstellationen und Interaktionen 768
      1. 3.1 Gemischtgeschlechtliche Konstellationen : MĂ€nner und Frauen im 20. Jahrhundert 771
    28. Ehen in der Krise 781
    29. Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die „TrĂ€ger des Zeit- wandels“ Walter und Clarisse 788
    30. Von der physiologischen „Zwangsherrschaft“ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
    31. Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
    32. Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
    33. Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der ‚schönen Seele‘ : Ulrich und Bonadea 825
    34. Coitus interruptus als „Lustselbstmord“ : Ulrich und Gerda 844
    35. Liebesversuche jenseits der Ehe 885
    36. Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
    37. Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
    38. Liebe à la hausse, platonische „Begegnung zweier Berggipfel“ : Diotima und Arnheim 908
    39. Die „letzte Liebesgeschichte“ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
    40. 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
    41. Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
    42. Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, Preußen gegen Österreich 1005
    43. Der Intellektuelle und der Großschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
    44. Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
    45. Entgegengesetzte „Exponenten des Zeitgeistes“ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
    46. BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
  5. BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und Schmeißer 1086
  6. TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
    1. 1. Der Mann ohne Eigenschaften im zeitgenössischen literarischen Feld 1099
      1. 1.1 ‚Negative‘ Anthropologie als literaturpolitischer Einsatz 1101
      2. 1.2 Poetik des Essayismus – Musils vielfacher Bruch 1130
    2. 2. Autor und Romanheld in der Moderne – Musils indirekte Selbstanalyse 1152
  7. Literaturverzeichnis 1169
  8. Musil-Texte 1169
  9. Andere Quellen 1169
  10. Nachschlagewerke 1176
  11. Allgemeine Forschungsliteratur 1176
  12. SekundÀrliteratur zu Musil 1193
  13. Register 1208
    1. 1. Personen 1208
    2. 2. Literarische Figuren 1214
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