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Der Mann ohne Eigenschaften im zeitgenössischen literarischen Feld 1139
fĂŒhre nĂ€mlich bloĂ zu einem âspiritualisierte[n] Naturalismusâ und hĂ€tte eher
eine VerklÀrung, nicht aber eine analytische Durchdringung der dargestellten
menschlichen âDurchschnittlichkeitâ zur Folge ; Joyce produziere bloĂ âKurz-
formeln der sprachlich orthodoxen Formelnâ, die âden sich auf Jahre erstre-
ckenden SprachprozeĂâ einfach âkopierenâ, nicht aber âden DenkprozeĂâ
erhellen ; daraus entstĂŒnde âetwas Unlehrhaftes und Wiederanstimmen eines
Urgesangsâ.128 Wie am Beispiel der Moosbrugger-Figur gezeigt wurde129, er-
laubt Musil zufolge erst eine wechselseitige Perspektivierung objektivierender
und subjektivierender ErzÀhlverfahren ein analytisches Aufbrechen einge-
schliffener âformelhafter VerkĂŒrzungenâ und damit eine literarische Darstellung
des âinneren Menschenâ, die der âEntwicklung der Intelligenzâ130 in der Mo-
derne standhĂ€lt â im Unterschied zu den subjektivierenden ErzĂ€hlverfahren
Joyces und des Expressionismus oder zu den objektivierenden Darstellungs-
weisen Döblins und der Neuen Sachlichkeit, die zwar âFilmstreifen denkenâ
mögen, dabei aber die âdeterminierende Obervorstellungâ vernachlĂ€ssigen
(Br 1, 497) und sich dergestalt auf das gedankliche Niveau ihres Gegenstands
begeben. GegenĂŒber solchen formalavantgardistischen Bestrebungen vertritt
Musil selber das erklĂ€rte Ansinnen, âdie Form des Romans nicht aufzugeben,
sondern aufnahmefĂ€hig fĂŒr die Inhalte zu machen, die ihr neu erwachsen
sindâ131. Mit anderen, auszugsweise bereits zitierten Worten :
Proust und Joyce geben, soviel ich davon gesehen habe, einfach der Auflösung nach,
durch einen assoziativen Stil mit verschwimmenden Grenzen. Dagegen wÀre mein
quenzen als sein irischer Kollege und Zeitgenosse.
128 Vgl. seine kritische Nachlassnotiz Joyce im Zusammenhang : âEin Profil : Der spiritualisierte
Naturalismus. â Ein Schritt, der schon 1900 fĂ€llig war. Seine Interpunktion ist naturalistisch. /
Dazu gehört auch die âUnanstĂ€ndigkeitâ. Anziehung : Wie lebt der Mensch im Durchschnitt ?
Verglichen damit praktiziere ich eine heroische Kunstauffassung. / Frage : Wie denkt man ?
Seine AbkĂŒrzungen sind : Kurzformeln der sprachlich orthodoxen Formeln. Sie kopieren den
sich auf Jahre erstreckenden SprachprozeĂ. Nicht den DenkprozeĂ. [!] / Eine andere Kenn-
zeichnung Joyceâs [sic] und der ganzen Richtung der Entwicklung ist : Auflösung. Er gibt dem
heutigen aufgelösten Zustand nach und reproduziert ihn durch eine Art freien Assoziierens.
Das hat etwas Dichterisches oder den Schein davon ; etwas Unlehrhaftes und Wiederanstim-
men eines Urgesangs.â (GW 7, 858)
129 Vgl. die AusfĂŒhrungen zu Moosbrugger in Kap. II.2.1 ; zum Kontext vgl. Wolf : Warum Moos-
brugger nicht erzĂ€hlt, bes. S. 347â350.
130 In einem Brief an seinen Freund Johannes von Allesch vom 15. MĂ€rz 1931 schreibt Musil :
âDer Roman unserer Generation (Th. Mann, Joyce, Proust usw.) hat sich allgemein vor der
Schwierigkeit befunden, daà die alte NaivitÀt des ErzÀhlens der Entwicklung der Intelligenz
gegenĂŒber nicht mehr ausreicht.â (Br 1, 504)
131 So der Brief an Walther Petry, 4.3.1931 (BrN 13).
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Buch Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts"
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Titel
- Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
- Untertitel
- Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Autor
- Norbert Christian Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78740-2
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 1224
- Schlagwörter
- Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
- Kategorie
- Geisteswissenschaften
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 9
- Einleitung 11
- TEIL I : GRUNDLEGUNG
- TEIL II : ROMANTEXT ALS KRĂFTEFELD
- 1. âVersuchsstation des Weltuntergangsâ : Chronotopos und sozialer Raum 261
- 2. âZeitfigurenâ 1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
- Erben und Enterbte 344
- Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) â Der Dilettant Walter 347
- Mann mit Eigenschaften 378
- Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
- Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
- Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
- Aufsteiger und Gebremste 482
- Realpolitik als âAntiessayismusâ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) â Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und âJudeâ 501
- Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
- Terroristen und Propheten 548
- Forcierte âEigenschaftlichkeitâ : Der Antisemit Hans Sepp 558
- eingast, Faschist und Schwerenöter 584
- Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist SchmeiĂer 601
- Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem âGeiste des Expressionismusâ 613
- Gefallene Geliebte 643
- Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
- Petrifizierte âEigenschaftlichkeitâ, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
- Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
- Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
- Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
- Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
- Angepasste und Dissidentinnen 708
- Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
- Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
- 3. âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ : Konstellationen und Interaktionen 768
- Ehen in der Krise 781
- Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die âTrĂ€ger des Zeit- wandelsâ Walter und Clarisse 788
- Von der physiologischen âZwangsherrschaftâ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
- Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
- Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
- Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der âschönen Seeleâ : Ulrich und Bonadea 825
- Coitus interruptus als âLustselbstmordâ : Ulrich und Gerda 844
- Liebesversuche jenseits der Ehe 885
- Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
- Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
- Liebe Ă la hausse, platonische âBegegnung zweier Berggipfelâ : Diotima und Arnheim 908
- Die âletzte Liebesgeschichteâ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
- 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
- Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
- Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, PreuĂen gegen Ăsterreich 1005
- Der Intellektuelle und der GroĂschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
- Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
- Entgegengesetzte âExponenten des Zeitgeistesâ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
- BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
- BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und SchmeiĂer 1086
- TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
- Literaturverzeichnis 1169
- Musil-Texte 1169
- Andere Quellen 1169
- Nachschlagewerke 1176
- Allgemeine Forschungsliteratur 1176
- SekundÀrliteratur zu Musil 1193
- Register 1208