Web-Books
in the Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Geisteswissenschaften
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
Page - 1144 -
  • User
  • Version
    • full version
    • text only version
  • Language
    • Deutsch - German
    • English

Page - 1144 - in Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts

Image of the Page - 1144 -

Image of the Page - 1144 - in Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts

Text of the Page - 1144 -

Teil III: Erzeugungsformel des Werks und Selbstobjektivierung des Autors1144 er lasse sich in der Narration „zu sehr auf Überlegungen ein[ ]“, zeitkritisch zu bedenken, dass in seiner Gegenwart viel „zu wenig ĂŒberlegt“ werde (MoE 1941, nach M II/1/61).148 Er distinguiert sich damit nicht allein von den etab- lierten literarischen Strömungen, sondern mindestens ebenso scharf von den singulĂ€ren, innovativen und direkt konkurrierenden ‚intellektuellen‘ Roman- projekten, die ihm konzeptionell – bei aller Diskrepanz im Einzelnen – ver- gleichsweise nahe stehen. So nimmt Musil Anstoß an den dialogisch gestalteten „‚geistigen‘ Partien“ von Thomas Manns Zauberberg (1924), die ihm angesichts ihrer ungenauen Kompilation philosophischer Theorien zu bloß motivischen Zwecken „wie ein Haifischmagen“ erscheinen.149 Mindestens so argwöhnisch wie den Roman Manns, „den die Gesellschaft, in der wir augenblicklich leben, zum FĂŒhrenden auserkoren hat“150, beĂ€ugt er die in seiner unmittelbaren zeitlichen, örtlichen und intellektuellen Umgebung entstehende Schlafwandler-Trilogie (1931/32) Hermann Brochs, deren „ExposĂ©â€œ ihm Franz Blei zugeschickt hatte und zu der er am 30. Januar 1930 in sein Arbeitsheft 30 einigermaßen irritiert no- tiert : „Absichten, die sich teilweise mit meinen berĂŒhren.“ (Tb 1, 697)151 Im Unterschied zu Musil lagerte Broch seine deduktiv-philosophischen Reflexi- onen zum ‚Wertzerfall‘ freilich aus dem ErzĂ€hlkontinuum seines Romans aus und beschritt somit erzĂ€hltechnisch wie auch konzeptionell einen anderen Weg, ja Brochs romankonstitutive „Werttheorie ist in ihren Mythos-BezĂŒgen rĂŒckwĂ€rtsgewandt, ganzheitlich, einheitsstiftend, spĂ€t- oder neoromantisch (im Sinne einer ‚Neuen Mythologie‘)“152. Auch hinsichtlich seiner oft unschar- fen Begrifflichkeit „steht Broch, ein Dichter mit einem besonders hohen An- spruch an wissenschaftlich fundierte Erkenntnis von Dichtung, methodisch (‚denkstilistisch‘) ungewollt [
] nĂ€her bei Autoren wie Spengler und Klages (bzw. ĂŒberhaupt der ‚konservativen Revolution‘) als bei seinem Wiener An- tipoden Musil“, wie die neuere Forschung gezeigt hat.153 Broch mache – so hĂ€lt Musil spĂ€ter kritisch fest – „den philosophischen Roman suspekt“, weil er „nicht recht“ habe, aber aufgrund der Romanstruktur kaum „immanent [zu] kritisieren“ sei : „[W]enn ich dagegen polemisiere, ist es entweder ein phi- 148 Vgl. auch die unmittelbare Fortsetzung dieser Argumentation : „Es sind zu viele auf der Welt, die genau sagen, was getan und gedacht werden mĂŒsse, als daß mich nicht das Gegenteil ver- fĂŒhren sollte.“ (MoE 1941, nach M II/1/61) 149 So die Formulierungen im Brief an Johannes von Allesch, 15.3.1931 (Br 1, 503–505, hier 504). 150 So Musil im 1927 entstandenen Essayfragment Das Gute in der Literatur (M I/6/120). 151 Vgl. auch den Brief an Franz Blei, 8.2.1930 (Br 1, 458). 152 Gottwald : Der Mythosbegriff bei Broch, S. 151. 153 Ebd., S. 153.
back to the  book Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts"
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
FWF-E-Book-Library
Title
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Subtitle
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
Author
Norbert Christian Wolf
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2011
Language
German
License
CC BY-NC-ND 3.0
ISBN
978-3-205-78740-2
Size
15.5 x 23.0 cm
Pages
1224
Keywords
Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
Category
Geisteswissenschaften

Table of contents

  1. Vorbemerkung 9
  2. Einleitung 11
    1. 1. Vom Scheitern eines Großkritikers : Aporien der Literaturkritik 11
    2. 2. Die MĂŒhen der Literaturwissenschaft : Aporien der Forschung 20
  3. TEIL I : GRUNDLEGUNG
    1. 1. Grundlagen der Untersuchung 43
      1. 1.1 Vorstellung der Methode : Bourdieus Sozioanalyse literarischer Texte 43
      2. 1.2 Methodologische EinwÀnde : Kritik der Sozioanalyse 58
    2. 2. Grundlagen der Poetik Musils 64
      1. 2.1 Der Mensch ohne Eigenschaften : ‚Gestaltlosigkeit‘ als ‚negative‘ Anthropologie 64
      2. 2.2 ‚Gestaltlosigkeit‘ und Romantext als Gesellschaftskonstruktion 80
    3. Gesellschaft im Roman 82
    4. Roman als Konstruktion 101
    5. Da capo : Angemessenheit und Vorgehensweise der Sozioanalyse 124
      1. 2.3 Medienkonkurrenz : Essayistisches vs. filmisches ErzÀhlen (Musil kontra Balåzs) 129
    6. 3. Grundbegriffe des Romankonzepts 165
      1. 3.1 Eigenschaftslosigkeit 165
      2. 3.2 Möglichkeitssinn und Essayismus 199
  4. TEIL II : ROMANTEXT ALS KRÄFTEFELD
    1. 1. „Versuchsstation des Weltuntergangs“ : Chronotopos und sozialer Raum 261
      1. 1.1 SelbstreferenzialitĂ€t und Außenreferenz : Das Eingangskapitel 261
      2. 1.2 Ein Land ohne Eigenschaften – Kakanien als Modell 282
      3. 1.3 Das Feld der Macht im Mann ohne Eigenschaften 300
    2. 2. „Zeitfiguren“ 1913/1930 „am gesellschaftlichen Schachbrett“ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
      1. 2.1 MĂ€nner 334
    3. Erben und Enterbte 344
    4. Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) – Der Dilettant Walter 347
    5. Mann mit Eigenschaften 378
    6. Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
    7. Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
    8. Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
    9. Aufsteiger und Gebremste 482
    10. Realpolitik als ‚Antiessayismus‘ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) – Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und ‚Jude‘ 501
    11. Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
    12. Terroristen und Propheten 548
    13. Forcierte ‚Eigenschaftlichkeit‘ : Der Antisemit Hans Sepp 558
    14. eingast, Faschist und Schwerenöter 584
    15. Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist Schmeißer 601
    16. Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem „Geiste des Expressionismus“ 613
      1. 2.2 Frauen 635
    17. Gefallene Geliebte 643
    18. Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
    19. Petrifizierte ‚Eigenschaftlichkeit‘, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
    20. Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
    21. Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
    22. Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
    23. Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
    24. Angepasste und Dissidentinnen 708
    25. Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
    26. Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
    27. 3. „Die falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaft“ : Konstellationen und Interaktionen 768
      1. 3.1 Gemischtgeschlechtliche Konstellationen : MĂ€nner und Frauen im 20. Jahrhundert 771
    28. Ehen in der Krise 781
    29. Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die „TrĂ€ger des Zeit- wandels“ Walter und Clarisse 788
    30. Von der physiologischen „Zwangsherrschaft“ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
    31. Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
    32. Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
    33. Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der ‚schönen Seele‘ : Ulrich und Bonadea 825
    34. Coitus interruptus als „Lustselbstmord“ : Ulrich und Gerda 844
    35. Liebesversuche jenseits der Ehe 885
    36. Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
    37. Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
    38. Liebe à la hausse, platonische „Begegnung zweier Berggipfel“ : Diotima und Arnheim 908
    39. Die „letzte Liebesgeschichte“ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
    40. 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
    41. Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
    42. Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, Preußen gegen Österreich 1005
    43. Der Intellektuelle und der Großschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
    44. Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
    45. Entgegengesetzte „Exponenten des Zeitgeistes“ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
    46. BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
  5. BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und Schmeißer 1086
  6. TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
    1. 1. Der Mann ohne Eigenschaften im zeitgenössischen literarischen Feld 1099
      1. 1.1 ‚Negative‘ Anthropologie als literaturpolitischer Einsatz 1101
      2. 1.2 Poetik des Essayismus – Musils vielfacher Bruch 1130
    2. 2. Autor und Romanheld in der Moderne – Musils indirekte Selbstanalyse 1152
  7. Literaturverzeichnis 1169
  8. Musil-Texte 1169
  9. Andere Quellen 1169
  10. Nachschlagewerke 1176
  11. Allgemeine Forschungsliteratur 1176
  12. SekundÀrliteratur zu Musil 1193
  13. Register 1208
    1. 1. Personen 1208
    2. 2. Literarische Figuren 1214
Web-Books
Library
Privacy
Imprint
Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion