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Teil III: Erzeugungsformel des Werks und Selbstobjektivierung des
Autors1144
er lasse sich in der Narration âzu sehr auf Ăberlegungen ein[ ]â, zeitkritisch
zu bedenken, dass in seiner Gegenwart viel âzu wenig ĂŒberlegtâ werde (MoE
1941, nach M II/1/61).148 Er distinguiert sich damit nicht allein von den etab-
lierten literarischen Strömungen, sondern mindestens ebenso scharf von den
singulĂ€ren, innovativen und direkt konkurrierenden âintellektuellenâ Roman-
projekten, die ihm konzeptionell â bei aller Diskrepanz im Einzelnen â ver-
gleichsweise nahe stehen.
So nimmt Musil AnstoĂ an den dialogisch gestalteten ââgeistigenâ Partienâ
von Thomas Manns Zauberberg (1924), die ihm angesichts ihrer ungenauen
Kompilation philosophischer Theorien zu bloĂ motivischen Zwecken âwie ein
Haifischmagenâ erscheinen.149 Mindestens so argwöhnisch wie den Roman
Manns, âden die Gesellschaft, in der wir augenblicklich leben, zum FĂŒhrenden
auserkoren hatâ150, beĂ€ugt er die in seiner unmittelbaren zeitlichen, örtlichen
und intellektuellen Umgebung entstehende Schlafwandler-Trilogie (1931/32)
Hermann Brochs, deren âExposĂ©â ihm Franz Blei zugeschickt hatte und zu
der er am 30. Januar 1930 in sein Arbeitsheft 30 einigermaĂen irritiert no-
tiert : âAbsichten, die sich teilweise mit meinen berĂŒhren.â (Tb 1, 697)151 Im
Unterschied zu Musil lagerte Broch seine deduktiv-philosophischen Reflexi-
onen zum âWertzerfallâ freilich aus dem ErzĂ€hlkontinuum seines Romans aus
und beschritt somit erzÀhltechnisch wie auch konzeptionell einen anderen
Weg, ja Brochs romankonstitutive âWerttheorie ist in ihren Mythos-BezĂŒgen
rĂŒckwĂ€rtsgewandt, ganzheitlich, einheitsstiftend, spĂ€t- oder neoromantisch
(im Sinne einer âNeuen Mythologieâ)â152. Auch hinsichtlich seiner oft unschar-
fen Begrifflichkeit âsteht Broch, ein Dichter mit einem besonders hohen An-
spruch an wissenschaftlich fundierte Erkenntnis von Dichtung, methodisch
(âdenkstilistischâ) ungewollt [âŠ] nĂ€her bei Autoren wie Spengler und Klages
(bzw. ĂŒberhaupt der âkonservativen Revolutionâ) als bei seinem Wiener An-
tipoden Musilâ, wie die neuere Forschung gezeigt hat.153 Broch mache â so
hĂ€lt Musil spĂ€ter kritisch fest â âden philosophischen Roman suspektâ, weil er
ânicht rechtâ habe, aber aufgrund der Romanstruktur kaum âimmanent [zu]
kritisierenâ sei : â[W]enn ich dagegen polemisiere, ist es entweder ein phi-
148 Vgl. auch die unmittelbare Fortsetzung dieser Argumentation : âEs sind zu viele auf der Welt,
die genau sagen, was getan und gedacht werden mĂŒsse, als daĂ mich nicht das Gegenteil ver-
fĂŒhren sollte.â (MoE 1941, nach M II/1/61)
149 So die Formulierungen im Brief an Johannes von Allesch, 15.3.1931 (Br 1, 503â505, hier 504).
150 So Musil im 1927 entstandenen Essayfragment Das Gute in der Literatur (M I/6/120).
151 Vgl. auch den Brief an Franz Blei, 8.2.1930 (Br 1, 458).
152 Gottwald : Der Mythosbegriff bei Broch, S. 151.
153 Ebd., S. 153.
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Buch Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts"
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Titel
- Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
- Untertitel
- Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Autor
- Norbert Christian Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78740-2
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 1224
- Schlagwörter
- Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
- Kategorie
- Geisteswissenschaften
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 9
- Einleitung 11
- TEIL I : GRUNDLEGUNG
- TEIL II : ROMANTEXT ALS KRĂFTEFELD
- 1. âVersuchsstation des Weltuntergangsâ : Chronotopos und sozialer Raum 261
- 2. âZeitfigurenâ 1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
- Erben und Enterbte 344
- Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) â Der Dilettant Walter 347
- Mann mit Eigenschaften 378
- Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
- Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
- Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
- Aufsteiger und Gebremste 482
- Realpolitik als âAntiessayismusâ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) â Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und âJudeâ 501
- Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
- Terroristen und Propheten 548
- Forcierte âEigenschaftlichkeitâ : Der Antisemit Hans Sepp 558
- eingast, Faschist und Schwerenöter 584
- Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist SchmeiĂer 601
- Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem âGeiste des Expressionismusâ 613
- Gefallene Geliebte 643
- Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
- Petrifizierte âEigenschaftlichkeitâ, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
- Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
- Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
- Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
- Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
- Angepasste und Dissidentinnen 708
- Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
- Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
- 3. âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ : Konstellationen und Interaktionen 768
- Ehen in der Krise 781
- Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die âTrĂ€ger des Zeit- wandelsâ Walter und Clarisse 788
- Von der physiologischen âZwangsherrschaftâ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
- Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
- Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
- Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der âschönen Seeleâ : Ulrich und Bonadea 825
- Coitus interruptus als âLustselbstmordâ : Ulrich und Gerda 844
- Liebesversuche jenseits der Ehe 885
- Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
- Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
- Liebe Ă la hausse, platonische âBegegnung zweier Berggipfelâ : Diotima und Arnheim 908
- Die âletzte Liebesgeschichteâ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
- 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
- Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
- Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, PreuĂen gegen Ăsterreich 1005
- Der Intellektuelle und der GroĂschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
- Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
- Entgegengesetzte âExponenten des Zeitgeistesâ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
- BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
- BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und SchmeiĂer 1086
- TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
- Literaturverzeichnis 1169
- Musil-Texte 1169
- Andere Quellen 1169
- Nachschlagewerke 1176
- Allgemeine Forschungsliteratur 1176
- SekundÀrliteratur zu Musil 1193
- Register 1208