Web-Books
in the Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Geisteswissenschaften
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
Page - 1154 -
  • User
  • Version
    • full version
    • text only version
  • Language
    • Deutsch - German
    • English

Page - 1154 - in Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts

Image of the Page - 1154 -

Image of the Page - 1154 - in Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts

Text of the Page - 1154 -

1154 Teil III: Erzeugungsformel des Werks und Selbstobjektivierung des Autors ersten literarischen Schreibversuchen aus „dem Nachtbuche des monsieur le vivisecteur“ (Tb 1, 1) als einen „Gelehrte[n]“ imaginiert, „der seinen eigenen Organismus unter das Mikroskop setzt und sich freut, sobald er etwas neues findet“ (Tb 1, 3). Kaum von ungefĂ€hr entsprechen dann auch Herkunft, Alter, schulischer und beruflicher Werdegang des spĂ€teren Romanhelden Ulrich bis in Einzelheiten denen seines Autors11, wobei freilich manche davon im Rah- men der Fiktionalisierung auf bezeichnende Weise modifiziert erscheinen.12 Musils Vater Alfred war Hochschulprofessor, allerdings nicht – wie der Va- ter Ulrichs – fĂŒr Rechtswissenschaften an der UniversitĂ€t, sondern fĂŒr Ma- schinenkunde und Maschinenbau an der Technischen Hochschule BrĂŒnn ; er vertrat damit ein zwar in rasanter Aufwertung befindliches13, in der akade- mischen Disziplinenhierarchie damals aber noch deutlich niedriger als Jura angesiedeltes Fach14 an einer Bildungseinrichtung mit geringerem Prestige, die zudem im Schatten der etablierten Technischen Hochschulen in Wien, Prag und Graz stand.15 Alfred Musils „schöne[r] Aufstieg“ nahm mit seiner 11 Genaueres zur Familie findet sich in Corino : Musil [2003], S. 59–91. Zur Problematik insgesamt vgl. Roth : Musil im Spiegel seines Werkes. 12 Vgl. dazu Blasberg : Krise und Utopie der Intellektuellen, S. 231 : „Die jeweiligen Protagonisten [der unterschiedlichen Arbeitsphasen des Romans, N. C. W.] glĂ€tten Musils Ausbildungsweg zur bedeutsamen Stationenfolge“. 13 Vgl. die soziologischen Überlegungen Musils im Arbeitsheft 33 : „Ein nicht nebensĂ€chlicher Zug : Mein Amtmann-Urgroßvater. Das aufstrebende BĂŒrgertum ergriff gern juridische Berufe. Es war praktisch, mochte aber auch eine geistige Genugtuung sein. (s. Goethes Großvater und ? Vater) In meiner frĂŒhen Jugend dominierte noch die Vorstellung, daß die Verwaltung in die HĂ€nde des Juristen gehöre. Dann kam die Emanzipation der Techniker (Hofratstitel, Ministe- rialleitung). Es erschien mir ganz natĂŒrlich und war vielleicht ein Verfall. Die Abdankung des Jus. Ich selbst habe das fĂŒr ‚modern‘ gehalten [
]. Mein Muttervater ist [in der Nachlasstran- skription der KA : „war“, N. C. W.] schon nicht Jurist, sondern Ingenieur geworden. Der Bruder meiner Großmutter (v. Böhm) Arzt. Solche Berufswahl bedeutete anderes als in stĂ€dtischen Patrizierfamilien. (Deren es in Österreich wenig gab.)“ (Tb 1, 954 f.; H 33/103) Hinsichtlich der hier ansatzweise problematisierten „Emanzipation der Techniker“ ist es signifikant, dass im Romantext ein Jurist und nicht ein Techniker als Ulrichs Vater figuriert, also eine Generation gleichsam ĂŒbersprungen wird. 14 Aus Bourdieu’scher Perspektive ließe sich die Tatsache, dass die Profession des Technikers im Feld der Macht seinerzeit noch nicht so angesehen war, dahingehend funktionalisieren, dass Ulrich als Ingenieur dadurch zu einem kritischen Blick auf die bestehenden MachtverhĂ€ltnisse prĂ€destiniert wird bzw. weniger dazu disponiert ist, seine eigenen sozialen Strategien zu ver- schleiern. Eine solche Konstellation kommt der literarischen Sozioanalyse zugute. 15 Vgl. Hoffmann : „Der Dichter am Apparat“, S. 26. Es entspricht allerdings mehr einer technik- und medientheoretischen Überpointierung als Musils differenzierteren Aussagen, wenn Hoff- mann meint, gegen Ende des 19. Jahrhunderts sei den Technikern „das höchste Renommee und die grĂ¶ĂŸte Eignung zur Verwaltung der StaatsgeschĂ€fte“ zugebilligt worden, weshalb sie den „Platz“ der Juristen „eingenommen“ und diese verdrĂ€ngt hĂ€tten (S. 16). FĂŒr eine signifikante
back to the  book Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts"
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
FWF-E-Book-Library
Title
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Subtitle
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
Author
Norbert Christian Wolf
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2011
Language
German
License
CC BY-NC-ND 3.0
ISBN
978-3-205-78740-2
Size
15.5 x 23.0 cm
Pages
1224
Keywords
Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
Category
Geisteswissenschaften

Table of contents

  1. Vorbemerkung 9
  2. Einleitung 11
    1. 1. Vom Scheitern eines Großkritikers : Aporien der Literaturkritik 11
    2. 2. Die MĂŒhen der Literaturwissenschaft : Aporien der Forschung 20
  3. TEIL I : GRUNDLEGUNG
    1. 1. Grundlagen der Untersuchung 43
      1. 1.1 Vorstellung der Methode : Bourdieus Sozioanalyse literarischer Texte 43
      2. 1.2 Methodologische EinwÀnde : Kritik der Sozioanalyse 58
    2. 2. Grundlagen der Poetik Musils 64
      1. 2.1 Der Mensch ohne Eigenschaften : ‚Gestaltlosigkeit‘ als ‚negative‘ Anthropologie 64
      2. 2.2 ‚Gestaltlosigkeit‘ und Romantext als Gesellschaftskonstruktion 80
    3. Gesellschaft im Roman 82
    4. Roman als Konstruktion 101
    5. Da capo : Angemessenheit und Vorgehensweise der Sozioanalyse 124
      1. 2.3 Medienkonkurrenz : Essayistisches vs. filmisches ErzÀhlen (Musil kontra Balåzs) 129
    6. 3. Grundbegriffe des Romankonzepts 165
      1. 3.1 Eigenschaftslosigkeit 165
      2. 3.2 Möglichkeitssinn und Essayismus 199
  4. TEIL II : ROMANTEXT ALS KRÄFTEFELD
    1. 1. „Versuchsstation des Weltuntergangs“ : Chronotopos und sozialer Raum 261
      1. 1.1 SelbstreferenzialitĂ€t und Außenreferenz : Das Eingangskapitel 261
      2. 1.2 Ein Land ohne Eigenschaften – Kakanien als Modell 282
      3. 1.3 Das Feld der Macht im Mann ohne Eigenschaften 300
    2. 2. „Zeitfiguren“ 1913/1930 „am gesellschaftlichen Schachbrett“ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
      1. 2.1 MĂ€nner 334
    3. Erben und Enterbte 344
    4. Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) – Der Dilettant Walter 347
    5. Mann mit Eigenschaften 378
    6. Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
    7. Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
    8. Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
    9. Aufsteiger und Gebremste 482
    10. Realpolitik als ‚Antiessayismus‘ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) – Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und ‚Jude‘ 501
    11. Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
    12. Terroristen und Propheten 548
    13. Forcierte ‚Eigenschaftlichkeit‘ : Der Antisemit Hans Sepp 558
    14. eingast, Faschist und Schwerenöter 584
    15. Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist Schmeißer 601
    16. Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem „Geiste des Expressionismus“ 613
      1. 2.2 Frauen 635
    17. Gefallene Geliebte 643
    18. Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
    19. Petrifizierte ‚Eigenschaftlichkeit‘, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
    20. Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
    21. Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
    22. Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
    23. Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
    24. Angepasste und Dissidentinnen 708
    25. Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
    26. Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
    27. 3. „Die falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaft“ : Konstellationen und Interaktionen 768
      1. 3.1 Gemischtgeschlechtliche Konstellationen : MĂ€nner und Frauen im 20. Jahrhundert 771
    28. Ehen in der Krise 781
    29. Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die „TrĂ€ger des Zeit- wandels“ Walter und Clarisse 788
    30. Von der physiologischen „Zwangsherrschaft“ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
    31. Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
    32. Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
    33. Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der ‚schönen Seele‘ : Ulrich und Bonadea 825
    34. Coitus interruptus als „Lustselbstmord“ : Ulrich und Gerda 844
    35. Liebesversuche jenseits der Ehe 885
    36. Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
    37. Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
    38. Liebe à la hausse, platonische „Begegnung zweier Berggipfel“ : Diotima und Arnheim 908
    39. Die „letzte Liebesgeschichte“ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
    40. 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
    41. Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
    42. Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, Preußen gegen Österreich 1005
    43. Der Intellektuelle und der Großschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
    44. Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
    45. Entgegengesetzte „Exponenten des Zeitgeistes“ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
    46. BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
  5. BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und Schmeißer 1086
  6. TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
    1. 1. Der Mann ohne Eigenschaften im zeitgenössischen literarischen Feld 1099
      1. 1.1 ‚Negative‘ Anthropologie als literaturpolitischer Einsatz 1101
      2. 1.2 Poetik des Essayismus – Musils vielfacher Bruch 1130
    2. 2. Autor und Romanheld in der Moderne – Musils indirekte Selbstanalyse 1152
  7. Literaturverzeichnis 1169
  8. Musil-Texte 1169
  9. Andere Quellen 1169
  10. Nachschlagewerke 1176
  11. Allgemeine Forschungsliteratur 1176
  12. SekundÀrliteratur zu Musil 1193
  13. Register 1208
    1. 1. Personen 1208
    2. 2. Literarische Figuren 1214
Web-Books
Library
Privacy
Imprint
Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion