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Taufen und Nobilitierungen 49
Vermögensverhältnisse und den Leumund des Taufbewerbers vornahmen. Erst nach
erfolgter Bewilligung durch die niederösterreichische Landesregierung konnte der
Taufbewerber, oder die Taufbewerberin, einen etwa sechswöchigen Taufunterricht
antreten.153 Nach empfangener Taufe hörten Jüdinnen und Juden auf, den für sie
geltenden Sondergesetzen unterworfen zu sein. Sie hatten, wie es in einem Dekret
der Hofkanzlei heißt, »von diesem Augenblick einen begründeten Anspruch auf alle
Rechte erworben, welche den übrigen Untertanen im Staate zukommen«.154
Politische Rechte waren damit selbstverständlich nicht gemeint. Diese waren bis
Mitte des 19. Jahrhunderts ausschließlich dem Adel vorbehalten. Der Akt der No-
bilitierung allein verhalf allerdings auch noch nicht zu politischen Rechten. Erst die
Mitgliedschaft in einer Adelskurie (die Einschreibung in die Landtafel) sicherte ein
gewisses politisches Mitspracherecht. Juden erschienen in den Ständeregistern zu-
nächst nur vereinzelt, wie etwa der Armeelieferant Abraham Wetzlar, der 1776 zum
Katholizismus konvertierte und ein Jahr darauf als Baron Carl Abraham Wetzlar von
Plankenstern nobilitiert und in die niederösterreichische Landtafel eingeschrieben
worden war.155 In der Epoche nach den Toleranzedikten wurden schließlich immer
mehr erfolgreiche jüdische Bankiers und Großhändler in den Adelsstand erhoben.
Viele der Neuadeligen ließen sich unmittelbar vor oder bald nach der Standeserhe-
bung taufen. Doch etwa ein Viertel der geadelten Judenfamilien des Vormärzes blieb
ihrer Religion treu.156 Einer der Gründe für die Taufe Nobilitierter war die damit
verbundene Möglichkeit des Erwerbs von Grundbesitz, der Juden sonst verwehrt
war (eine Ausnahme bildete der Erwerb staatseigener Güter – sehr oft ehemaliger
Kirchenbesitz –, den Joseph II. mit einem Dekret vom 24. September 1789 dem
Inhaber des Böhmischen Tabakmonopols, Israel Hönig, nobilitiert 1789 als Edler
von Hönigsberg, gestattet hatte).
Der zunehmende Erwerb von Grundbesitz durch wohlhabende (getaufte) Juden
sowie ihre sich abzeichnende Verschmelzung mit dem Adel durch Nobilitierungen,
Taufen, Heiraten und gesellschaftlichen Umgang führte bald schon zum Widerstand
bei Teilen des niederen Adels. So gab sich die Kurie der Ritter (die niedere der bei-
den Adelskurien im niederösterreichischen Landtag) am 27. April 1808 ein neues
153 Da eine Taufe jedenfalls eine mehrwöchige Anwesenheit in der Residenzstadt erforderte, erfreute
Wien sich in jenen Jahren eines regelrechten Tauftourismus.Vgl. Staudacher, Konvertiten 1, S. 61.
154 Hofkanzleidekret vom 30.8.1810, abgedruckt in : J.L.E. Graf von Barth-Barthenheim : Politische
Verfassung der Israeliten im Lande unter der Enns, und insbesondere in der k. k. Haupt- und Resi-
denzstadt Wien (Wien 1821), S. 357.
155 Sein ältester Sohn, Baron Raimund Wetzlar von Plankenstern sollte zum Förderer, Freund und
zeitweiligen Quartiergeber Wolfgang Amadeus Mozarts werden. Vgl. Wolfgang Gasser : Neues aus
der »Stadt der Toleranz«, in : Lorenzo da Ponte, a.a.O, S. 72f.
156 Hanns Jäger-Sustenau : Die geadelten Judenfamilien im vormärzlichen Wien, phil. Diss. (Wien
1950), S. 65.
Heimatrecht und Staatsbürgerschaft österreichischer Juden
Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Heimatrecht und Staatsbürgerschaft österreichischer Juden
- Untertitel
- Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart
- Autor
- Hannelore Burger
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79495-0
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 292
- Schlagwörter
- Heimatrecht, Staatsbürgerschaft, Juden, Österreichische Juden, Judenemanzipation, Toleranz, Josephinische Reformen, Österreichische Monarchie, Ausgleich, Österreich-Ungarn, Erste Republik, Nationalsozialistische Judenverfolgung, Ausbürgerung
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Einführung 9
- Von der Epoche des josephinischen Reformabsolutismus bis zum Ende des Neoabsolutismus 15
- Die Frage der jüdischen Bürgerrechte in der Aufklärung 15
- Exkurs : Juden in den österreichischen Ländern vom Hochmittelalter bis in das Zeitalter der Emanzipation 19
- Die josephinische Zäsur 26
- Das böhmisch-mährische System der Familienstellen 29
- Das Toleranzpatent für die Juden Galiziens 34
- Anhaltende »Verschiedenheit des politischen Zustandes« 38
- Die Vertretung der Tolerierten 39
- Das Judenamt 40
- Die Hofkanzlei als Hüterin der Toleranz 45
- Taufen und Nobilitierungen 47
- Die Kodifizierung des Staatsbürgerschaftsrechts 51
- Die staatsbürgerliche Stellung der Juden im Vormärz
- und das Auftauchen der »Judenfrage« 53
- Die bürgerliche Revolution von 1848 und die veränderte staatsbürgerliche Stellung der Juden 59
- Juden als österreichische Reichsbürger 62
- Inklusion und Exklusion von Juden in der Zeit des Neoabsolutismus 64
- Das Heimatrecht der österreichischen Juden 70
- Die Sonderstellung der »türkischen« Juden 74
- Die Entwicklung von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft in der Epoche des Ausgleichs 77
- Der Anteil der Juden an den Einbürgerungen 77
- Die Vermehrung der jüdischen Bevölkerung in Cisleithanien 80
- Die rechtliche Gleichstellung der Juden durch das Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger im Dezember 1867 82
- Rückkehr in die »verbotene Stadt« 83
- Paradoxe Fremde 85
- Die dualistische Verschärfung 86
- Motive für den Erwerb von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft 88
- Heimatrecht und Staatsbürgerschaft jüdischer Frauen 90
- Heimatrecht und soziale Frage 91
- Der Fall Dr. Hugo Stark 92
- Der Fall Julia Singer 93
- Der Fall Lea Weitzmann 95
- »Schutzgenossen« und »Untertanen de facto« 96
- Zur Ambivalenz von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft 97
- Die Nationalitätenkonflikte der Verfassungszeit und die (sprach-)nationale Identität der Juden 100
- Kafkas Sprachen 100
- Die Bedeutung von Bildung im Judentum 103
- Sprache, Nationalität und Recht im Unterrichtswesen 105
- Jüdische Kinder in den Mühlen des Nationalitätenkampfes 109
- Der Anteil jüdischer Schüler am höheren Bildungswesen 112
- Sprachen, Nationalitäten, Identitäten 114
- Das mehrsprachige Unterrichtswesen in der Bukowina 115
- Der Verdacht gegen die Mehrsprachigkeit 116
- Die Ethnisierung der Nationalitätenkonflikte 117
- Die Wiederkehr der »Judenfrage« in der Epoche des Ausgleichs 119
- Juden im Ersten Weltkrieg 130
- Theorie und Praxis von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft in der Ersten Republik 132
- Die Aus- und Einbürgerungen des autoritären Ständestaates 141
- Verfolgung, Vertreibung, Ausbürgerung, Vernichtung während der NS-Herrschaft 146
- Die Implementierung der Nürnberger Gesetze in Österreich 146
- Signaturen der Vertreibung 152
- Die Ausbürgerung und der Befehl zur »Endlösung« 155
- Die Wiederherstellung der Staatsbürgerschaft in der Zweiten Republik 166
- Der Fall Raviv 172
- Staatenlosigkeit als Massenschicksal 187
- Der Fall Elias Canetti 188
- Der Fall Manès Sperber 200
- Semantische Nachbemerkungen 213
- Verzeichnis der Archive 222
- Literaturverzeichnis 223
- Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen 244
- Zeittafel 245
- Register 264
- Personen 264
- Orte 269
- Sachen 271