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Inklusion und Exklusion von Juden in der Zeit des Neoabsolutismus 65
ten Verfügungen vom 31. Dezember 1851 (über die Sistierung der Verfassung) sei
über die Judensache nichts entschieden worden, und so stelle sich die Frage, »wie die
Juden zu behandeln und ihre mittlerweile geschlossenen Geschäfte über den Besitz
etc. zu ordnen seien, was alles den Behörden vielfältige und peinliche Verlegenheiten
verursache.« Man beschloss daraufhin, als Entgegnung einen »beruhigenden Artikel«
in »irgendeine Zeitung einrücken zu lassen«, in welchem zu versichern sei, dass nach
Abschluss aller Verhandlungen bezüglich die Ordnung der Judensache »mit Zuver-
sicht erwartet werden könne«, dass eine künftige Gesetzgebung »allen Rücksichten
der Humanität und der Gerechtigkeit entsprechen« werde.209 Ein solcher Artikel
erschien allerdings ebenso wenig wie das befürchtete Gesetz.210
Im Ausland wurde die neue restriktivere Judenpolitik Österreichs schon sehr bald
wahrgenommen ; sie scheint mitursächlich dafür gewesen zu sein, dass Österreich
1853 in London beim Versuch einer Kapitalaufnahme scheiterte.211 Zwar blieb das
Recht auf Grundbesitz, das der Gemeinderat der Residenzstadt Wien bestrebt war,
sofort aufzuheben, zunächst erhalten, auch hatte der Kaiser noch am 29. Juli sei-
ner Regierung »die Verhandlung über die Regulierung der staatsbürgerlichen Ver-
hältnisse der Israeliten mit tunlicher Beschleunigung« zur »besonderen Pflicht« ge-
macht212, doch eine Verordnung vom 2. Oktober 1853 bestimmte schließlich, dass
der in den einzelnen Kronländern vor der Verfassung von 1849 bestehende Rechts-
zustand hinsichtlich der Grundbesitzfähigkeit von Juden wieder herzustellen sei.213
209 ÖMProt III/1, Das Ministerium Buol-Schauenstein, bearbeitet von Waltraud Heindl (Wien 1975),
MK Nr. 61 vom 13. November 1852, S. 318f.
210 Ebenda, Fußnote 5.
211 ÖMProt. III/4, Das Ministerium Buol-Schauenstein, bearbeitet von Waltraud Heindl (Wien 1987),
Einleitung S. XVIII.
212 Ah. Entschließung zum Vortrag Bachs v. 6. Juni 1853. »Bis Ich über die im Zuge befindlichen
Ver handlungen in Absicht auf die Regulierung der staatsbürgerlichen Verhältnisse der Israeliten
gesetzgebende Beschlüsse zu fassen in der Lage bin, halte Ich es den Umständen entsprechend, die
in den verschiedenen Kronländern Meine Reiches vor dem Jahre 1848 bestandenen Bestimmun-
gen des Bürgerlichen Gesetzbuches oder, wo solches nicht in Kraft war, der allgemeinen Gesetze
modifizierenden politischen Verordnungen über die Besitzfähigkeit der Israeliten provisorisch in
Wirksamkeit treten zu lassen, wobei die von den Israeliten bis dahin und in der Zwischenzeit
erworbenen und als rechtmäßig anzusehenden Realbesitzungen ungestört zu bleiben hätten. (…)
Ich mache es Ihnen übrigens zur besonderen Pflichte, die Verhandlungen über die Regulierung
der staatsbürgerlichen Verhältnisse der Israeliten mit tunlichster Beschleunigung zum Abschluß zu
bringen …« Zit. nach : ÖMProt. III/2, Nr. 156 Ministerkonferenz v. 3. September 1853, S. 309.
Ähnlich lautend auch : Handschreiben Kaiser Franz Josephs an den Minister des Innern Bach v. 29.
Juli 1853, zit. nach : Wolf, Juden, S. 156f.
213 Kaiserliche Verordnung v. 2. Oktober 1853 über die provisorische Wirksamkeit der vor dem Jahre
1848 bestandenen, die Besitzfähigkeit der Israeliten beschränkenden Vorschriften. Reichsgesetz-
blatt für das Kaisertum Österreich RGBl. Nr. 190/1853. Dazu auch : ÖMProt. III/2, Nr. 163 v. 4.
Oktober 1853.
Heimatrecht und Staatsbürgerschaft österreichischer Juden
Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Heimatrecht und Staatsbürgerschaft österreichischer Juden
- Untertitel
- Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart
- Autor
- Hannelore Burger
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79495-0
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 292
- Schlagwörter
- Heimatrecht, Staatsbürgerschaft, Juden, Österreichische Juden, Judenemanzipation, Toleranz, Josephinische Reformen, Österreichische Monarchie, Ausgleich, Österreich-Ungarn, Erste Republik, Nationalsozialistische Judenverfolgung, Ausbürgerung
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Einführung 9
- Von der Epoche des josephinischen Reformabsolutismus bis zum Ende des Neoabsolutismus 15
- Die Frage der jüdischen Bürgerrechte in der Aufklärung 15
- Exkurs : Juden in den österreichischen Ländern vom Hochmittelalter bis in das Zeitalter der Emanzipation 19
- Die josephinische Zäsur 26
- Das böhmisch-mährische System der Familienstellen 29
- Das Toleranzpatent für die Juden Galiziens 34
- Anhaltende »Verschiedenheit des politischen Zustandes« 38
- Die Vertretung der Tolerierten 39
- Das Judenamt 40
- Die Hofkanzlei als Hüterin der Toleranz 45
- Taufen und Nobilitierungen 47
- Die Kodifizierung des Staatsbürgerschaftsrechts 51
- Die staatsbürgerliche Stellung der Juden im Vormärz
- und das Auftauchen der »Judenfrage« 53
- Die bürgerliche Revolution von 1848 und die veränderte staatsbürgerliche Stellung der Juden 59
- Juden als österreichische Reichsbürger 62
- Inklusion und Exklusion von Juden in der Zeit des Neoabsolutismus 64
- Das Heimatrecht der österreichischen Juden 70
- Die Sonderstellung der »türkischen« Juden 74
- Die Entwicklung von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft in der Epoche des Ausgleichs 77
- Der Anteil der Juden an den Einbürgerungen 77
- Die Vermehrung der jüdischen Bevölkerung in Cisleithanien 80
- Die rechtliche Gleichstellung der Juden durch das Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger im Dezember 1867 82
- Rückkehr in die »verbotene Stadt« 83
- Paradoxe Fremde 85
- Die dualistische Verschärfung 86
- Motive für den Erwerb von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft 88
- Heimatrecht und Staatsbürgerschaft jüdischer Frauen 90
- Heimatrecht und soziale Frage 91
- Der Fall Dr. Hugo Stark 92
- Der Fall Julia Singer 93
- Der Fall Lea Weitzmann 95
- »Schutzgenossen« und »Untertanen de facto« 96
- Zur Ambivalenz von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft 97
- Die Nationalitätenkonflikte der Verfassungszeit und die (sprach-)nationale Identität der Juden 100
- Kafkas Sprachen 100
- Die Bedeutung von Bildung im Judentum 103
- Sprache, Nationalität und Recht im Unterrichtswesen 105
- Jüdische Kinder in den Mühlen des Nationalitätenkampfes 109
- Der Anteil jüdischer Schüler am höheren Bildungswesen 112
- Sprachen, Nationalitäten, Identitäten 114
- Das mehrsprachige Unterrichtswesen in der Bukowina 115
- Der Verdacht gegen die Mehrsprachigkeit 116
- Die Ethnisierung der Nationalitätenkonflikte 117
- Die Wiederkehr der »Judenfrage« in der Epoche des Ausgleichs 119
- Juden im Ersten Weltkrieg 130
- Theorie und Praxis von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft in der Ersten Republik 132
- Die Aus- und Einbürgerungen des autoritären Ständestaates 141
- Verfolgung, Vertreibung, Ausbürgerung, Vernichtung während der NS-Herrschaft 146
- Die Implementierung der Nürnberger Gesetze in Österreich 146
- Signaturen der Vertreibung 152
- Die Ausbürgerung und der Befehl zur »Endlösung« 155
- Die Wiederherstellung der Staatsbürgerschaft in der Zweiten Republik 166
- Der Fall Raviv 172
- Staatenlosigkeit als Massenschicksal 187
- Der Fall Elias Canetti 188
- Der Fall Manès Sperber 200
- Semantische Nachbemerkungen 213
- Verzeichnis der Archive 222
- Literaturverzeichnis 223
- Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen 244
- Zeittafel 245
- Register 264
- Personen 264
- Orte 269
- Sachen 271