Web-Books
im Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Geschichte
Historische Aufzeichnungen
Heimatrecht und Staatsbürgerschaft österreichischer Juden - Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart
Seite - 110 -
  • Benutzer
  • Version
    • Vollversion
    • Textversion
  • Sprache
    • Deutsch
    • English - Englisch

Seite - 110 - in Heimatrecht und Staatsbürgerschaft österreichischer Juden - Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart

Bild der Seite - 110 -

Bild der Seite - 110 - in Heimatrecht und Staatsbürgerschaft österreichischer Juden - Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart

Text der Seite - 110 -

110 Die Nationalitätenkonflikte der Verfassungszeit über aus, ob die deutsche Sprache in Galizien überhaupt landesüblich und damit Un- terrichtssprache sein könne. Das Reichsgericht jedoch befand, dass  – wenn auch nur an einzelnen Orten  – in Galizien die deutsche Sprache landesüblich sei.377 Ebenso wies das Gericht in seiner Erkenntnisbegründung die Ansicht zurück, die jüdischen Einwohner Brodys hätten kein Recht, sich zur deutschen Nationalität zu bekennen und die deutsche Sprache als ihre Sprache zu reklamieren. Nahezu alle jüdischen Einwohner Brodys, stellte das Gericht fest, bedienten sich der deutschen Sprache als ihrer »Mutter-, Familien- und Umgangssprache«, und somit könne es den Einwoh- nern von Brody als österreichische Staatsbürger nicht verwehrt werden, »nicht nur sich selbst als der deutschen Nationalität angehörig und die deutsche Sprache als ihre Sprache« zu erklären, sondern auch »für ihre schulpflichtigen Kinder die deutsche Sprache als Unterrichtssprache zu begehren«.378 Errichtet waren die beiden Volksschulen wegen des anhaltenden Widerstandes des galizischen Landesschulrats damit aber noch lange nicht. Während die Ruthenen Lembergs noch fünf Jahre lang auf ihre Volksschule warteten, mussten sich die Juden Brodys am Ende mit einer privaten, von der jüdischen Kultusgemeinde unterstütz- ten Volksschule mit Öffentlichkeitsrecht begnügen. Sie wurde gemischtsprachig, mit deutscher und polnischer Unterrichtssprache eingerichtet.379 Da die galizische Lan- desregierung nur äußerst schleppend ihren schulpolitischen Verpflichtungen nach- kam, waren es immer häufiger private Stiftungen, die die Lücken schlossen. Um die jüdischen Kinder machte sich besonders die 1889 gegründete »Baron Hirsch- Stiftung« verdient, die im Geiste der jüdischen Aufklärung, der Haskala380, wirkte und es sich zum Ziel gesetzt hatte, jüdische Kinder zu mündigen Staatsbürgern und zu »tüchtigen Handwerkern und Landwirten«  – Bereiche, die ihnen zuvor verwehrt waren  – heranzubilden. Die um die Jahrhundertwende existierenden rund zwanzig Baron Hirsch-Schulen waren säkular ausgerichtet ; die meisten verfügten  – wie jene in Kolomea/Kołomyja  – über eine angeschlossene Lehrwerkstatt. Die Unterrichts- sprache war für die Kinder, deren Muttersprache in Wahrheit meist das Jiddische war, in der Bukowina die deutsche und in Galizien die polnische. Deutsch wurde allerdings  – was wegen des »Sprachenzwangsverbots« nur an Privatschulen möglich war  – von der ersten Klasse an obligatorisch gelehrt.381 377 Erkenntnis des Reichsgerichts Nr. 219 vom 12. Juli 1880, zit. nach : Burger, Sprachenrecht, S.  128. 378 Ebenda, siehe auch : Stourzh, Gleichberechtigung, S.  75ff. 379 Vgl. Burger, Sprachenrecht, S.  129. Dazu auch : Kuzmany, Brody, S.  216. 380 Zum Forschungsstand der Haskala siehe : Shmuel Feiner : »Wohl euch, die ihr eurer Gedanken wegen verfolgt seid !«  – Die gegenwärtige Erforschung der Haskala : Kultur der jüdischen Aufklä- rung in historischer Perspektive. Vorwort zu : Haskala im 18. Jahrhundert. TrumaH. Bd. 16, 2006, S.  1–17. 381 Vgl. Burger, Sprachenrecht, S.  129f.
zurück zum  Buch Heimatrecht und Staatsbürgerschaft österreichischer Juden - Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart"
Heimatrecht und Staatsbürgerschaft österreichischer Juden Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Titel
Heimatrecht und Staatsbürgerschaft österreichischer Juden
Untertitel
Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart
Autor
Hannelore Burger
Ort
Wien
Datum
2014
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC-ND 3.0
ISBN
978-3-205-79495-0
Abmessungen
15.5 x 23.5 cm
Seiten
292
Schlagwörter
Heimatrecht, Staatsbürgerschaft, Juden, Österreichische Juden, Judenemanzipation, Toleranz, Josephinische Reformen, Österreichische Monarchie, Ausgleich, Österreich-Ungarn, Erste Republik, Nationalsozialistische Judenverfolgung, Ausbürgerung
Kategorien
Geschichte Historische Aufzeichnungen

Inhaltsverzeichnis

  1. Einführung 9
  2. Von der Epoche des josephinischen Reformabsolutismus bis zum Ende des Neoabsolutismus 15
  3. Die Frage der jüdischen Bürgerrechte in der Aufklärung 15
  4. Exkurs : Juden in den österreichischen Ländern vom Hochmittelalter bis in das Zeitalter der Emanzipation 19
  5. Die josephinische Zäsur 26
  6. Das böhmisch-mährische System der Familienstellen 29
  7. Das Toleranzpatent für die Juden Galiziens 34
  8. Anhaltende »Verschiedenheit des politischen Zustandes« 38
  9. Die Vertretung der Tolerierten 39
  10. Das Judenamt 40
  11. Die Hofkanzlei als Hüterin der Toleranz 45
  12. Taufen und Nobilitierungen 47
  13. Die Kodifizierung des Staatsbürgerschaftsrechts 51
  14. Die staatsbürgerliche Stellung der Juden im Vormärz
  15. und das Auftauchen der »Judenfrage« 53
  16. Die bürgerliche Revolution von 1848 und die veränderte staatsbürgerliche Stellung der Juden 59
  17. Juden als österreichische Reichsbürger 62
  18. Inklusion und Exklusion von Juden in der Zeit des Neoabsolutismus 64
  19. Das Heimatrecht der österreichischen Juden 70
  20. Die Sonderstellung der »türkischen« Juden 74
  21. Die Entwicklung von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft in der Epoche des Ausgleichs 77
  22. Der Anteil der Juden an den Einbürgerungen 77
  23. Die Vermehrung der jüdischen Bevölkerung in Cisleithanien 80
  24. Die rechtliche Gleichstellung der Juden durch das Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger im Dezember 1867 82
  25. Rückkehr in die »verbotene Stadt« 83
  26. Paradoxe Fremde 85
  27. Die dualistische Verschärfung 86
  28. Motive für den Erwerb von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft 88
  29. Heimatrecht und Staatsbürgerschaft jüdischer Frauen 90
  30. Heimatrecht und soziale Frage 91
  31. Der Fall Dr. Hugo Stark 92
  32. Der Fall Julia Singer 93
  33. Der Fall Lea Weitzmann 95
  34. »Schutzgenossen« und »Untertanen de facto« 96
  35. Zur Ambivalenz von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft 97
  36. Die Nationalitätenkonflikte der Verfassungszeit und die (sprach-)nationale Identität der Juden 100
  37. Kafkas Sprachen 100
  38. Die Bedeutung von Bildung im Judentum 103
  39. Sprache, Nationalität und Recht im Unterrichtswesen 105
  40. Jüdische Kinder in den Mühlen des Nationalitätenkampfes 109
  41. Der Anteil jüdischer Schüler am höheren Bildungswesen 112
  42. Sprachen, Nationalitäten, Identitäten 114
  43. Das mehrsprachige Unterrichtswesen in der Bukowina 115
  44. Der Verdacht gegen die Mehrsprachigkeit 116
  45. Die Ethnisierung der Nationalitätenkonflikte 117
  46. Die Wiederkehr der »Judenfrage« in der Epoche des Ausgleichs 119
  47. Juden im Ersten Weltkrieg 130
  48. Theorie und Praxis von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft in der Ersten Republik 132
  49. Die Aus- und Einbürgerungen des autoritären Ständestaates 141
  50. Verfolgung, Vertreibung, Ausbürgerung, Vernichtung während der NS-Herrschaft 146
  51. Die Implementierung der Nürnberger Gesetze in Österreich 146
  52. Signaturen der Vertreibung 152
  53. Die Ausbürgerung und der Befehl zur »Endlösung« 155
  54. Die Wiederherstellung der Staatsbürgerschaft in der Zweiten Republik 166
  55. Der Fall Raviv 172
  56. Staatenlosigkeit als Massenschicksal 187
  57. Der Fall Elias Canetti 188
  58. Der Fall Manès Sperber 200
  59. Semantische Nachbemerkungen 213
  60. Verzeichnis der Archive 222
  61. Literaturverzeichnis 223
  62. Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen 244
  63. Zeittafel 245
  64. Register 264
  65. Personen 264
  66. Orte 269
  67. Sachen 271
Web-Books
Bibliothek
Datenschutz
Impressum
Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Heimatrecht und Staatsbürgerschaft österreichischer Juden