Seite - 11 - in Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Bild der Seite - 11 -
Text der Seite - 11 -
1. AKTEURE IN AGRARSYSTEMEN
Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand
1.1 Von (Re-)Aktionsmustern zu Interaktionsfeldern
„Die Erforschung der NS-Agrarpolitik war nie ein zentrales Thema der Ge-
schichtswissenschaft und wartet bis heute auf eine systematische Darstellung, auch
wenn viele Einzelaspekte inzwischen untersucht sind.“1 Dieses ernüchternde Fazit
eines aktuellen Literaturüberblicks bestätigt sich über die Agrarpolitik hinaus auch
für Landwirtschaft, ländliche Gesellschaft und dörfliche Kultur im Nationalsozi-
alismus – vor allem für die Ostmark bzw. die „Alpen- und Donaureichsgaue“ als
Teil des Deutschen Reiches 1938 bis 1945.2 Die Randständigkeit dieser Themen-
bereiche in der NS-Forschung kontrastiert mit der Zentralität des „Bauerntums“
in der nationalsozialistischen Ideologie wie der Agrar- und Ernährungswirtschaft
in der Kriegs- und Vernichtungspolitik des NS-Regimes. Der folgende Überblick
über die fragmentierte Forschungslandschaft skizziert ohne Anspruch auf Voll-
ständigkeit anhand ausgewählter Beispiele einige Haupttendenzen. Im Hinblick
auf Theorien, Methoden und Themenaspekte lassen sich in der Forschung zur Ag-
rargesellschaft im Nationalsozialismus drei zeitlich aufeinander folgende, zugleich
einander überlappende Ansätze unterscheiden : Nazifizierungs-, Resistenz- und
Kräftefeld-Ansatz (Abbildung 1.1).
Bevor sich die kritische Forschung dieses Themas annahm, erschienen in den
1950er und 1960er Jahren teils unkritische, teils affirmative Schriften von Zeitge-
nossen, darunter ehemalige Amtsträger, des „Dritten Reiches“.3 Erst im Kontext
der modernisierungstheoretisch und der historisch-materialistisch angeleiteten
Strukturgeschichte der 1970er Jahre4 wurden die nationalsozialistische Durch-
dringung von Agrarpolitik und Landwirtschaft im nationalstaatlichen Rahmen
und deren Auswirkungen auf die ländliche Gesellschaft eingehender beleuchtet.
Bevorzugte Forschungsgegenstände dieses – von mir mit dem Label Nazifizie-
rung charakterisierten
– Ansatzes bildeten „Blut und Boden“-Ideologie,5 Reichs-
nährstand,6 Marktordnung,7 Erbhof- und Siedlungspolitik,8 Mittelstandsförde-
rung9 und Kriegswirtschaft.10 Die Forschungen kreisten um das Verhältnis von
nationalsozialistischer Bauerntumsideologie sowie Agrar- und Ernährungswirt-
schaft ; dabei trat ein „essentieller Widerspruch zwischen antimodernistischen
Appellen und kriegs- und industriewirtschaftlich bedingter Modernisierung“11
zutage. Wichtige Impulse kamen von internationaler Seite mit den Überblicks-
darstellungen von John E. Farquharson und Gustavo Corni.12 Zu den deutschen
Vorreitern zählten in der BRD Horst Gies, der neben zahlreichen Aufsätzen
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Schlachtfelder
- Untertitel
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Autor
- Ernst Langthaler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 948
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937