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„Menschenökonomie“ vor Ort
tigten sicherzustellen. Extrinsische Motivation und explizite Kontrolle verur-
sachten hohe Material- und Personalkosten, wie in der Zwangsarbeit mit Lager-
unterbringung. Implizite Kontrolle ließ sich durch soziokulturelle Einbindung
herstellen, wie in der Zwangsarbeit am Hof. Intrinsische Motivation konnte durch
ökonomischen Ausgleich, etwa bessere Verpflegung, gesteigert werden, so etwa in
der Lohnarbeit. Die bäuerliche Familienwirtschaft bot ein institutionelles Arran-
gement, das beide Strategien der Senkung von Transaktionskosten verband : Sie
suchte nicht nur Familienangehörige, sondern auch familienfremde Arbeitskräfte
zu einer Solidargemeinschaft zu vereinen ; dadurch vermochte sie intrinsische Mo-
tivation und implizite Kontrolle alltäglich (wieder-)herzustellen (Abbildung 4.17).
So gesehen erscheint die familienwirtschaftliche Grundregel „gemeinsam arbei-
ten – gemeinsam essen“ weniger als Ausdruck der Resistenz des bäuerlich-katho-
lischen Milieus,333 sondern als höchst effiziente Institution334
– auch und gerade in
der Zwangsarbeit.
4.5 „Menschenökonomie“ vor Ort
Die vergangenen Abschnitte rücken vor allem die familienfremden Arbeitskräfte
in- und ausländischer Herkunft in den Mittelpunkt. Nun gilt das Augenmerk der
Gesamtheit der in der Landwirtschaft Beschäftigten, so auch den Angehörigen
der (unter-)bäuerlichen Familien. Neben dem „Anschluss“ im März 1938 mit der
nachfolgenden, durch den Rüstungsboom angeheizten „Landflucht“ stellten der
Kriegsbeginn im September 1939 sowie der Übergang von den „Blitzkriegen“ zum
Abnützungskrieg 1941/42 entscheidende Wendemarken des „Arbeitseinsatzes“
dar. Während die verfügbaren Hofkartendaten die Jahre ab 1941 abdecken, ver-
mitteln die Buchführungsergebnisse der Landesbauernschaft Donauland einen
Überblick zum regionalen Arbeitskräftebesatz im letzten Friedens- und ersten
Kriegsjahr (Tabelle 4.11). Zwar hatten die Zahlen der Arbeitskräfte, vor allem der
Familienangehörigen und des Gesindes, bereits im Wirtschaftsjahr 1938/39 durch
die „Landflucht“ abgenommen ; dennoch brachte das Wirtschaftsjahr 1939/40 er-
neut absolute oder relative Einbrüche, die zweifellos aus der Mobilisierung männ-
licher Landarbeitskräfte für die Deutsche Wehrmacht folgten. Gemessen an der
Gesamtzahl der Arbeitskräfte verzeichneten das Flachland südlich der Donau,
das Bergland des böhmischen Massivs und das Alpengebiet bedeutende Verluste.
Hinsichtlich der Arbeitskräftedichte erfuhren nahezu alle Regionen mehr oder
weniger dramatische Rückgänge. Diese Schwankungen wurden aber auch durch
Veränderungen der Betriebsgröße
– im Pannonischen Flach- und Hügelland durch
den Anstieg, im Flachland südlich der Donau durch den Abfall
– mitbestimmt. Im
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Schlachtfelder
- Untertitel
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Autor
- Ernst Langthaler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 948
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937