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116 Anatomie eines „lebenden Organismus“
Taglöhnerin auf anderen Höfen verdingte ; dadurch arbeitete sie Zugleistungen
anderer Bauern ab oder verdiente einige Reichsmark dazu.165
2.7 Im Raum der Gutswirtschaft
Die Merkmale der zehn (unter-)bäuerlichen Beispielbetriebe verdeutlichen einmal
mehr die vielfältigen Überlappungen landwirtschaftlichen und außeragrarischen
Erwerbs am unteren Ende des Größenspektrums der betrieblichen Agrarsysteme ;
doch wie verlief die Grenze am oberen Ende ? Um diese Frage zu beantworten,
wenden wir uns dem bislang ausgeblendeten Großgrundbesitz zu. Innerhalb des
Reichsgebiets konzentrierte sich der landwirtschaftliche Großgrundbesitz im
Nordosten ;166 das Gebiet der Ostmark war – abgesehen vom forstwirtschaftlichen
Großgrundbesitz in den Alpen – überwiegend klein-, mittel- oder großbäuerlich
geprägt.167 Hinsichtlich des Gewichts des Großgrundbesitzes in der Ostmark bil-
dete Niederdonau jedoch die Ausnahme von der Regel :
„Im Südosten [des Deutschen Reiches], im österreichischen Donau- und Alpenland,
ist der gutsherrschaftliche Siedlungsraum an sich recht unbedeutend und fast aus-
schließlich auf die östlichen Landesteile beschränkt. Aber auch in diesen Gebieten
ist überall der Prozentsatz der Menschen, die in bäuerlichen Siedlungen wohnen und
wirtschaften, um ein Vielfaches größer als die der im Gutshof wohnenden und arbei-
tenden. Die vorzugsweise Beschränkung der gutsherrschaftlichen Siedlung auf die
östlichen Teile des österreichischen Norddonaulandes und des Ostalpenrandes zeigt
auch, in welchen Naturgebieten es hauptsächlich zur Ausbildung dieser Siedlungs-
und Wirtschaftsform gekommen ist. Es sind vor allem die großen Ebenengebiete, das
Marchfeld, das Wiener Becken, die Laaer Bucht und vor allem das nördliche Burgen-
land, hier besonders wieder das Gebiet der Parndorfer Platte und die Seewinkelland-
schaft. Sind auch in anderen Teilen der Ostmark Großgrundbesitzer stellenweise in
nicht zu unterschätzendem Ausmaß vertreten, so kommt es doch, bedingt durch eine
andersartige Betriebsgestaltung, fast nirgends zu so ausgedehnten Siedlungs- und
Wirtschaftsanlagen wie in diesen Teilen Niederdonaus.“168
Hinter dieser nüchternen Beschreibung des Nachwuchsgeographen Egon Lendl
von 1939 stand der normativ aufgeladene Gegensatz zwischen ‚Bauerndorf‘ und
‚Gutshof‘, der einen konstitutiven Widerspruch der offiziellen Debatte zur länd-
lichen Siedlung bildete. Das klein- und mittelbäuerliche Dorf sei gekennzeichnet
durch die „unbedingte Einheit zwischen Wohn- und Wirtschaftsplatz“, die „aus-
schließlich von Familien getragen“ werde. Beim großbetrieblichen Gutshof „fällt
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Schlachtfelder
- Untertitel
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Autor
- Ernst Langthaler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 948
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937