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68 Anatomie eines „lebenden Organismus“
prägt –, sondern in den zum Ökotypus Getreidebau gehörigen Hackfrucht- und
Getreidewirtschaften des Alpenvor-, Flach- und Hügellandes registriert (Tabelle
2.6). Auch wenn das ursprüngliche Ökotypen-Modell an den Betriebstypen der
Buchführungsstatistik an Grenzen stößt, vermag es in modifizierter Form die Ar-
rangements von Kulturpflanzen, Nutzvieh und Arbeitskräften zu erhellen. Ander-
weitig aggregierte Daten, etwa die Hofkartenstatistik, führen auf unserer Feldbe-
gehung weiter.
2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte
Was die Hofkartenstatistik von den Betriebszählungs- und Buchführungsergeb-
nissen unterschied, waren vor allem der Erfassungsgrad der Gesamtheit der Be-
triebe und die Art der Aggregation der einzelnen Betriebsdaten. Erstens erfasste
die Hofkarte – wie die Betriebszählung – alle Landwirtschaftsbetriebe ab einer
bestimmten Mindestgröße : In der Regel lag diese bei fünf Hektar landwirtschaft-
licher Nutzfläche ; eine Ausnahme bestand für Weinbaubetriebe mit mindestens
0,28 Hektar Rebfläche, die bereits ab zwei Hektar landwirtschaftlicher Nutzflä-
che erfasst wurden. Folglich wurde die Masse der Zwerg- und Kleinbauernbe-
triebe unter fünf Hektar Betriebsfläche, die in Niederdonau 1939 mehr als die
Hälfte aller Betriebe umfassten,84 im Großteil des Reichsgaues nicht oder, in den
Weinbaugebieten, nur zum Teil erfasst. Insgesamt erfasste die Hofkarte 1939 47
Prozent aller Betriebe, 67 Prozent der Betriebsfläche, 47 Prozent der Waldfläche
und 80 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche Niederdonaus.85 Neben der
pragmatischen Überlegung, den Verwaltungsaufwand in Grenzen zu halten, folgte
diese Entscheidung einer grundsätzlichen Sichtweise : Laut Wilfried Kahler, dem
zuständigen Abteilungsleiter in der Landesbauernschaft Donauland, sollten al-
lein die „bäuerlichen Betriebsformen als der tragende Teil der Landwirtschaft“86
berücksichtigt werden ; in diesem Sinn galten die nicht vollbäuerlichen Betriebe,
die zahlenmäßig überwogen, als nicht tragendes Beiwerk. Zweitens wurden die
Betriebsdaten nicht nach Verwaltungseinheiten, sondern – wie die Buchführungs-
ergebnisse – nach Produktionsgebieten aggregiert. Darüber hob sich die Hofkar-
tenstatistik des Reichsnährstandes von der amtlichen Betriebszählungsstatistik
ab, denn „ihre Aufgliederung nach politischen Kreisen verwischt oft scharf un-
terschiedene Eigenarten landwirtschaftlicher Gebiete“.87 Die Entscheidung, land-
wirtschaftliche Produktionsgebiete zu konstruieren, folgte aus der agrarpolitischen
Steuerungsfunktion der Hofkartenstatistik, die als „wesentliches Hilfsmittel der
Wirtschaftslenkung“ galt ; sie sollte weniger wissenschaftlichen Anforderungen, als
vielmehr dem „Bedürfnis der landwirtschaftlichen Praxis“ dienen.88
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Schlachtfelder
- Untertitel
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Autor
- Ernst Langthaler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 948
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937