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199Schollenbindung
oder Parzellenhandel ?
gefallen.196 Daraufhin hob das Reichsministerium für Ernährung und Landwirt-
schaft im September 1941 den abschlägigen Bescheid der Oberen Siedlungsbehörde
auf und genehmigte die beiden Kaufverträge.197 Gewiss, es handelt sich um einen
Sonderfall ; doch erkennen wir daran die allgemeine, sich auch in anderen Feldern
der NS-Herrschaft 1941/42 abzeichnende Tendenz des Agrarapparats, die ernäh-
rungswirtschaftlichen Momente gegenüber den bevölkerungspolitischen zu stärken.
Eine Gemeinsamkeit dieser unterschiedlichen Fälle besteht im Zusammenhang
zwischen „Entjudung“ und Verbäuerlichung, jeweils im Hinblick auf die Festigung
des „Bauerntums“ an der „volkspolitisch“ sensiblen Reichsgrenze. Im ersten Fall
ging die Initiative zur „Arisierung“ von einem bäuerlichen Konsortium unter Füh-
rung eines Rechtsanwalts aus. Zwar scheiterte dessen Ansinnen an inneren und
äußeren Widersprüchen ; doch die DAG fing in Kooperation mit dem Reichsnähr-
stand das wirtschaftlich ins Trudeln geratene Projekt unter dem Prätext eines bäu-
erlichen Siedlungsverfahrens auf. Im zweiten Fall erschien der DAG nach genauer
Prüfung ein bäuerliches Siedlungsverfahren unwirtschaftlich ; daher erhielt ein
Großbauer die Chance, seinen durch einen Verkauf an die Wehrmacht geschmä-
lerten Grundbesitz auf einen höheren Stand als zuvor aufzustocken. Im dritten Fall
konkurrierten die amtlichen Befürworter eines bäuerlichen Neusiedlungsverfah-
rens sowie ein Bauer und dessen Ehefrau um die strittigen Parzellen. Obwohl sich
zunächst erstere behaupteten, konnten sich letztere im Berufungsverfahren durch-
setzen. Den Ausschlag gab die ministerielle Entscheidung, die ernährungswirt-
schaftliche Leistungsfähigkeit des wohlbestallten Erbhofes über die Argumente der
Siedlungsbefürworter zu stellen. In allen drei Verfahren gewannen wirtschaftliche
Überlegungen – die mangelnde Finanzkraft der bäuerlichen Bewerber/-innen im
ersten Fall, die Unwirtschaftlichkeit der bäuerlichen Siedlung im zweiten Fall, die
Leistungsfähigkeit des Erbhofes im dritten Fall – ein erhebliches Gewicht für die
Entscheidungen der Amtsträger. Zwar war die angestrebte Verbäuerlichung durch
„Entjudung“ getrieben durch das bodenpolitische Leitmotiv des „Volkstumskamp-
fes“ ; doch sollte der Besitztransfer auch wirtschaftlichen Gesichtspunkten genügen.
In der politischen Ökonomie der landwirtschaftlichen „Arisierung“ als Spielart der
economics of discrimination198 arbeiteten die wirkungsmächtige „Blut und Boden“-
Metapher sowie Kosten-Nutzen-Erwägungen Hand in Hand.
3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ?
Die exklusive Seite der nationalsozialistischen Bodenpolitik fand in der Enteig-
nung der als „Juden“ geltenden Grundbesitzer/-innen ihren extremsten Ausdruck ;
ebenso bedurfte auch die inklusive Seite – die Bindung des „deutschen Bauern“
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Schlachtfelder
- Untertitel
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Autor
- Ernst Langthaler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 948
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937