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494 Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“
5.6 Zusammenfassung
Wie in den Feldern des Grundbesitzes und der Landarbeit lag auch im Feld der
Sachkapitals ein starker Akzent auf dem Staatsapparat, der direkt oder indirekt
die Märkte des Geld- und Sachkapitals zu lenken suchte und somit die Manö-
vrierräume der Akteure umformte (Abbildung 5.26). „Bauerntum“ und Technik
bildeten im Expertendiskurs keinen Widerspruch ; vielmehr wurde das Mechani-
sche im reaktionär-modernen Sinn als in den „Hoforganismus“ eingebettet ima-
giniert – dies umso mehr, als die (Land- oder Arbeits-)Produktivität zunehmend
als Messlatte bäuerlicher Leistung in der ‚nachholenden Modernisierung‘ der ost-
märkischen Landwirtschaft diente. Preissenkungen auf dem Handelsdünger- und
Landmaschinenmarkt sowie staatliche Förderungen einerseits, die Verteuerung der
Landarbeiterlöhne andererseits förderten den Einsatz land- und arbeitssparenden
Betriebskapitals, der sich von der agrartechnischen Stagnation der 1930er Jahre
als Technisierungswelle abhob. Neben der allgemeinen Technikförderung durch
Reichsnährstand und die Behörde des Reichsstatthalters war der NS-Agrarapparat
auch mit konjunkturellen und strukturellen Sonderproblemen der Ostmark kon-
frontiert : Das in der Agrarkrise der 1930er Jahre verschärfte Problem der äußeren
und inneren Verschuldung und das damit verbundene Berg- und Kleinbauernpro-
blem sollten durch die Entschuldungs- und Aufbauaktion gelöst werden. Zur Lö-
sung des fundamentalen Bergbauernproblems sollte der „Gemeinschaftsaufbau im
Bergland“ als ‚kleiner Schritt‘ den ‚großen Sprung‘ der „Dorfaufrüstung“ nach dem
Krieg vorbereiten.
Die vom politisch-ökonomischen System forcierte Technisierung stand mit den
alltäglichen Strategien der (unter-)bäuerlichen Betriebe und Haushalte in ambi-
valenten Beziehungen : Einerseits begünstigten multifunktionale Personennetz-
werke mancherorts die Entscheidung der Betriebsinhaber/-innen, einen Antrag
auf Teilnahme an der Entschuldungs- und Aufbauaktion einzubringen – und da-
rüber zum Klienten des nationalsozialistischen Staates zu werden. Andererseits
bildete der auf wirtschaftliche und politische Autonomie pochende Paternalis-
mus – der sprichwörtliche „Bauernstolz“ – ein Hindernis, das Pressekampagnen
zu überwinden suchten. Ambivalent waren nicht nur die Bedingungen, sondern
auch die Folgen der Entschuldungs- und Aufbauaktion : Zwar wurden die über-
schuldeten Betriebsinhaber/-innen vor drohenden Zwangsversteigerungen be-
wahrt ; doch im Zuge von „Entschuldung“ als Umschuldung und „Aufbau“ als
Neuverschuldung erlangte der Staat die Machtposition eines ‚Über-Gläubigers‘
mit weitgehenden Kontroll- und Eingriffsmöglichkeiten in den ‚gläsernen Hof ‘.
Die selektive Ausrichtung der nationalsozialistischen Agrartechnisierung äußerte
sich an ernährungswirtschaftlich-leistungsbezogenen wie bevölkerungspolitisch-
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Schlachtfelder
- Untertitel
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Autor
- Ernst Langthaler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 948
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937