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404 Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“
5.3 Staatshilfe als „Auslese“
Entschuldung und Aufbau der österreichischen Landwirtschaft lautet der Titel eines
1953 erschienenen Büchleins über die Tätigkeit der Landstellen auf dem Gebiet
Ostmark.81 Die Landstellen, die zunächst dem Landwirtschaftsministerium unter-
stellt waren und ab 1940 den Behörden des jeweiligen Reichsstatthalters an- und
diesen 1943 eingegliedert wurden, führten die Entschuldungs- und Aufbauaktion
der Landwirtschaft durch.82 Darüber hinaus setzten sie auch die 1934 von der
österreichischen Bundesregierung eingeleitete Bergbauernhilfe fort.83 Während
Aufbau- und Bergbauernhilfsaktion die „innere Verschuldung“ – die Schäden am
Betriebskapital – zu beheben trachteten, zielte die Entschuldungsverordnung von
1938 auf die Behebung der „äußeren Verschuldung“ :84 „Ziel des Entschuldungs-
verfahrens ist eine Regelung der Schulden, die es dem Betriebsinhaber bei ord-
nungsgemäßer Wirtschaftsführung ermöglicht, nach Bestreitung der Kosten ein-
facher Lebenshaltung und Berücksichtigung der laufenden öffentlichen Lasten die
verbleibenden Schulden zu verzinsen und zu tilgen.“85
August Lombar, der Autor des Buches, lässt keinen Zweifel daran, dass sich die
Landstellen bei der Durchführung dieser weitreichenden Aufgaben „außerordent-
lich bewährt“ hätten. „Trotz des Personalmangels und der kriegsbedingten Schwie-
rigkeiten“ hätten sie „nicht nur die Entschuldung vollständig durchgeführt, son-
dern auch auf dem Gebiete des Betriebsaufbaues einschließlich der Bergbauernhilfe
beachtliche Leistungen erzielt.“86 Auf diese Weise bewirkten sie die „erfolgreiche
Lösung eines agrarpolitischen Problems von weittragender Bedeutung, das über ein
halbes Jahrhundert hindurch in der Wissenschaft und Praxis immer wieder Gegen-
stand lebhafter Erörterung gewesen ist“.87 Lombar nimmt in seiner Ausführungen
den Standpunkt eines unparteiischen Experten ein ; er möchte die Entschuldungs-
und Aufbauaktion beschreiben, damit „die getroffenen Maßnahmen in richtigem
Lichte erscheinen und entsprechend beurteilt werden können“.88 Ein Experte auf
dem Gebiet der Agrarpolitik war er zweifellos ; allerdings bestehen erhebliche Zwei-
fel an seiner Unparteilichkeit. Was sein Nachkriegsopus verschweigt, offenbaren die
von ihm gezeichneten Akten aus der NS-Ära : Lombar war zunächst Leiter der
Rechtsabteilung und stellvertretender Leiter der Landstelle Wien, der größten der
acht Landstellen auf dem Gebiet der Ostmark ; 1943 schien er bereits als Leiter der
Landstelle als Unterabteilung IV f des Reichsstatthalters Niederdonau auf.89 Vor
diesem Hintergrund verblasst der Anschein einer unparteiischen Beschreibung ;
hier schreibt einer, der Partei ergreift für den beschriebenen Gegenstand.
Der parteiische Standpunkt Lombars wurde in der Geschichtsforschung lange
teils unhinterfragt übernommen, teils unwidersprochen hingenommen. Die von
ihm 1953 formulierte Sicht – die Entschuldungs- und Aufbauaktion hätten die
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Schlachtfelder
- Untertitel
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Autor
- Ernst Langthaler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 948
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937