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128 Anatomie eines „lebenden Organismus“
die Hackfrüchte, fast ausschließlich Zuckerrüben, ein ; das restliche Viertel trug
Feldfutter und Handelsgewächse, war als Deputatland an Arbeitskräfte zur Nut-
zung vergeben oder lag brach. Der Gutsverwalter Karl Lehr kommandierte fünf
Aufsichtskräfte, fünf Gutshandwerker, drei Melker und acht Melkerinnen sowie
36 Landarbeiter, darunter drei unter 18 Jahren, und 24 Landarbeiterinnen. Als
Taglohn- und Saisonarbeitskräfte wurden 44 Männer und 42 Frauen im jährli-
chen Ausmaß von 15.924 Arbeitstagen beschäftigt. Mit einem Arbeitspotenzial
von 132,9 AKE lag Schloßhof an der Spitze aller 36 Gutsbetriebe ; auch die Ar-
beitsintensität von 0,2 AKE pro Hektar rangierte über dem Durchschnitt. Ebenso
überdurchschnittlich stellte sich der Viehstand dar : 82 Pferde und 276 Rinder,
davon drei Stiere, zwölf Ochsen und 190 Milchkühe, zusammen 366,9 GVE oder
überdurchschnittliche 0,5 GVE pro Hektar. Dagegen rangierte der, absolut be-
trachtet, enorme Maschinenbestand im Neuwert von 46.860 Reichsmark mit 69
Reichsmark pro Hektar, relativ gesehen, unter dem Durchschnitt : ein eisen- und
ein gummibereifter Dieselschlepper, fünf Elektromotoren, ein Verbrennungsmotor
und eine Lokomobile als Kraftmaschinen, vier gummibereifte Ackerwägen, zwei
Dreschmaschinen, vier Drillmaschinen, drei Düngerstreuer, neun Hackmaschinen,
drei Grasmäher, ein Heuwender, ein Silohäcksler, ein Pferde- und zwei Zapfwel-
lenbindemäher, zwei Heugebläse, zwei Strohpressen, ein Saatgutbeizer, eine Melk-
maschine, eine Schrotmühle und eine Milchkühlanlage als Arbeitsmaschinen. An
den Markt lieferte der Gutsverwalter den Großteil der 525.830 Kilogramm er-
zeugter Milch, 16.766 Doppelzentner Getreide, überwiegend Weizen sowie etwas
Brau- und Industriegerste, und 1.536 Doppelzentner Stroh ; über Viehlieferungen
ist nichts bekannt.189
2.8 Durchleuchtete Höfe
Diente bereits die Hofkarte der Transparenz der ländlichen Betriebs- und Haus-
haltsverhältnisse für den NS-Agrarapparat, so trieben die Besichtigungsprotokolle
der Entschuldungsbetriebe die amtliche Durchleuchtung der Höfe noch erheb-
lich weiter. Als eine der ersten Maßnahmen nach dem „Anschluss“ verkündeten
die NS-Machthaber die „planmäßige Entschuldung der landwirtschaftlichen,
forstwirtschaftlichen und gärtnerischen Betriebe“ als Teil des „Wiederaufbaus der
Ostmark“. Die in den 1930er Jahren, den „Jahren des Verfalls“, rasant gestiegene
Verschuldung der österreichischen Landwirtschaft sollte „als einmalige Notmaß-
nahme die Grundlage für die daneben in Angriff genommenen, auf die Dauer
berechneten Wiederaufbaumaßnahmen“ bilden.190 Die Österreichische Entschul-
dungsverordnung vom 5. Mai 1938 machte die Durchführung der Aktion von
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Schlachtfelder
- Untertitel
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Autor
- Ernst Langthaler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 948
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937