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6. DAS „LANDVOLK“ UND SEINE MEISTER
Manövrieren im Feld des Agrarwissens
6.1 Das agronomische Expertensystem
„Der Nationalsozialismus hat die Freiheit der Wissenschaft verwirklicht“,1 froh-
lockte Franz Sekera, Dozent an der Wiener Hochschule für Bodenkultur und
ebendort Führer des nationalsozialistischen Dozentenbundes,2 wenige Wochen
nach dem „Anschluss“ in der Wiener Landwirtschaftlichen Zeitung, einem renom-
mierten Agrarfachblatt. Die agrarwissenschaftliche Forschung sei nunmehr von je-
der öffentlichen und privatwirtschaftlichen Abhängigkeit befreit : „[…] es gibt für
die Arbeitspläne weder das Nein eines verständnislosen Bürokraten, noch gibt es
die nicht immer objektive Förderung durch die Industrie. Die deutsche Wissenschaft
verwaltet sich selbst ! [Hervorhebung im Original]“3 Die Rede von der Befreiung
der sich nunmehr selbst verwaltenden Landwirtschaftsforschung in der Ostmark
bezog sich auf die „Zwangskörperschaft der gesamten Agrarwissenschaft“,4 die im
„Altreich“ bereits seit Jahren bestand. Nach der nationalsozialistischen Machtüber-
nahme 1933 wurde die Agrarforschung im Deutschen Reich unter Federführung
des Agrarwissenschafters Konrad Meyer zentralisiert. Aus dem Zusammenschluss
der Forschungsstätten in den Reichsarbeitsgemeinschaften für Landbauwis-
senschaft 1934 bildete im Jahr darauf das Reichserziehungs- und Reichsernäh-
rungsministerium den Forschungsdienst unter der Obmannschaft Meyers. Diese
Dachorganisation umfasste Reichsarbeitsgemeinschaften für Pflanzenbau, land-
wirtschaftliche Chemie, Tierzucht, Garten- und Weinbau, landwirtschaftliche
Gewerbeforschung sowie Agrarpolitik und Betriebslehre ; zudem widmeten sich
Arbeitsgruppen und -ausschüsse der „Neubildung deutschen Bauerntums“, dem
Weinbau, der Fischerei und der Ödlandkultur.5
Der Forschungsdienst fasste die auf zahlreiche Institute verteilten Agrarwis-
senschaften zusammen, unterwarf sie den Zielen der nationalsozialistischen Ag-
rarpolitik und richtete sie stärker als bisher auf die praktische Anwendung aus.
Die 1934 nach italienischem Vorbild ausgerufene „Erzeugungsschlacht“ suchte
die inländische Agrarproduktion zu steigern, um die bisher für Nahrungs- und
Futtermitteleinfuhren aus dem Ausland aufgewendeten Devisenmittel für Importe
rüstungsrelevanter Rohstoffe verfügbar zu machen. Die Hauptaufgabe der Agrar-
forschung bestand im Kampf gegen die „Eiweiß-“ und „Fettlücke“, den Mangel
an pflanzlichen und tierischen Eiweißen und Fetten aus inländischer Produktion.
Der Vierjahresplan von 1936, der das Deutsche Reich im Kriegsfall von Einfuh-
ren möglichst unabhängig zu machen suchte, verstärkte diese Bemühungen ; dazu
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Schlachtfelder
- Untertitel
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Autor
- Ernst Langthaler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 948
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937