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506 Das „Landvolk“ und seine Meister
Während das landwirtschaftliche Bildungswesen die Landarbeiter/-innen und
den bäuerlichen Nachwuchs charakterlich und fachlich zu formen trachtete, rich-
tete sich die Wirtschaftsberatung auf die aktuell tätigen Betriebsleiter/-innen ; laut
Anordnung des Reichsbauernführers von 1937 diente sie dem „Ziel der Erfas-
sung des letzten Hofs“.63 Die Wirtschaftsberatung war mit dem Schulwesen eng
verbunden : Jede Landwirtschaftsschule war zugleich Wirtschaftsberatungsstelle,
der Direktor zugleich Beratungsleiter. Die Wirtschaftsberatung gliederte sich
nach den Formen in die Massen- und Einzelberatung, nach den Inhalten in die
allgemeine und Spezialberatung. Die Massenberatung erfolgte im persönlichen
Kontakt über Vorträge, Begehungen und Kurse, aber auch über das Medium der
Druckschriften, etwa das Wochenblatt der Landesbauernschaft für das bäuerliche
Publikum und die Wiener Landwirtschaftliche Zeitung für die akademisch geschulte
Leserschaft. Die Einzelberatung oblag den regionalen Wirtschaftsberatern und
-beraterinnen und ihren lokalen Hilfskräften, den Hofberatern ; diese konnten sich
auf einschlägige Anleitungen, etwa das Taschenbuch für Wirtschaftsberater,64 und die
Hofkarte als Informationsgrundlage stützen.65 Die Notwendigkeit einer organi-
sierten Wirtschaftsberatung lag auf der Hand : „Insbesondere die Notwendigkei-
ten der Erzeugungsschlacht als einer forcierten Produktionssteigerung auf allen
Gebieten der Landwirtschaft erforderten einen starken Ausbau aller Maßnahmen,
die dazu dienen, den landwirtschaftlichen Betriebsleitern nicht nur das ‚Was‘ der
Mehrerzeugung nahezubringen, sondern auch das ‚Wie‘ an sie heranzutragen.“66
Doch wie stellten sich das Was und das Wie für die an das Deutsche Reich ange-
schlossene ostmärkische Landwirtschaft dar ? Genauer, welcher Zielrichtung sollte
die Agrarentwicklung in der Ostmark folgen und mit welchen Mitteln konnte dies
unter den Bedingungen des „totalen Krieges“ erreicht werden ?
6.2 Vordenker des „Aufbaus“
Um diese Frage zu beantworten, folgen wir den Spuren zweier agronomischer Vor-
denker, eines „altreichsdeutschen“ und eines „ostmärkischen“. Im Unterschied zu
den meisten Expertenstimmen, die in der Aufbruchsstimmung der ersten Jahre nach
dem „Anschluss“ laut wurden, betrieben beide im amtlichen Auftrag anwendungs-
bezogene Grundlagenforschung zum „Aufbau“ der ostmärkischen Landwirtschaft.
Dabei gingen sie regional oder betriebstypisch differenzierend vor. Zudem dürfte
die planerische Tätigkeit parallel und weitgehend unabhängig voneinander erfolgt
sein ; beide Studien wurden etwa zeitgleich publiziert und nichts deutet auf eine
Kooperation hin. Walter Lechler, als preußischer Generallandschaftsdirektor mit
den Problemen regionaler Kredit- und Agrarpolitik bestens vertraut,67 publizierte
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Schlachtfelder
- Untertitel
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Autor
- Ernst Langthaler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 948
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937