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102 Anatomie eines „lebenden Organismus“
traditionell als Heim- und Fabriksarbeit betrieben wurde.146 Dabei handelte es
sich durchwegs um Zwerg- und Kleinbetriebe mit hackfruchtwirtschaftlichem
Schwerpunkt ; auch hier bot der Kartoffelbau den Familien der Kleinhäusler/-in-
nen eine wichtige Existenzgrundlage. Auch selbstständige Gewerbetreibende wie
Schuhmacher, Tischler oder Schmiede nannten meist Hackfruchtwirtschaften mit
weniger als fünf Hektar ihr Eigen. Nur ausnahmsweise, etwa bei Gasthäusern, war
Landbesitz über fünf Hektar in überdurchschnittlichem Ausmaß mit Nebener-
werbsbetrieben verbunden. Alles in allem werden in den drei Untersuchungsregio-
nen die Konturen unterschiedlicher Erwerbsprofile fassbar : In der Region Matzen
dominierte der landwirtschaftliche Haupterwerb, verbunden mit wechselseitigen
Arbeitsleistungen von Kleinhäusler- und Bauernbetrieben. Für die Region Mank
war das Nebeneinander von landwirtschaftlichem und gewerblich-selbstständigem
Haupterwerb charakteristisch. Die Region Litschau war durch die von Lohnab-
hängigen betriebene Nebenerwerbslandwirtschaft – die „Arbeiterbauern“147 – ge-
prägt.
2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens
Auf der schrittweisen Abwendung von den Kategorien der amtlichen Agrarsta-
tistik hin zum (unter-)bäuerlichen Wirtschaften haben wir Unterscheidungen
zwischen mehr und weniger wichtigen Elementen von Agrarsystemen getroffen.
Die amtliche Agrarstatistik trifft diese Unterscheidungen in ihrer Funktion als
politisch-ökonomisches Machtdispositiv im Vorhinein ;148 genau genommen las-
sen sich derartige Unterscheidungen aber erst im Nachhinein treffen, erst nach der
Erkundung von Richtung und Stärke aller Beziehungen. Betrachten wir daher die
elf Agrarsystem-Merkmale – Gemeinde, Betriebsgröße und -typ, Arbeits-, Vieh-
und Maschinenintensität, Familien-, Gesinde- und Taglöhneranteil, V/A-Quoti-
ent und Haupterwerbszweig – für die Gesamtheit der 1.552 Betriebe in den drei
Untersuchungsregionen in ihren Wechselbeziehungen. Dabei werden die Betriebe
entsprechend der (Un-)Ähnlichkeiten ihrer Merkmalsausprägungen im mehrdi-
mensionalen Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens angeordnet. Da die ersten
beiden Raumdimensionen zusammen bereits fast zwei Drittel (63 Prozent) der
Gesamtstreuung abdecken, bleiben die weiteren außer Betracht.
Die einzelnen Merkmale tragen in unterschiedlichen Maßen zur Raumkonst-
ruktion bei. Zur ersten Dimension, die rund die Hälfte (51 Prozent) der Gesamt-
streuung abdeckt, leistet die Betriebsgröße den höchsten Beitrag ; dahinter folgen
Maschinenintensität, Familienanteil, Arbeitsintensität und Taglöhneranteil. Für
die zweite Dimension, die etwa ein Achtel (12 Prozent) der Gesamtstreuung ab-
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Schlachtfelder
- Untertitel
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Autor
- Ernst Langthaler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 948
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937