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709Großbritannien
und die Ostmark im Krieg
hinsichtlich des produktivistischen Übergangs erwarten. Sollte aber der Vergleich
zwischen Ausgangs- und Kontrastfall – entgegen der Erwartung – auch Ähnlich-
keiten zeigen, wäre dies ein Anzeichen für systemübergreifende Gemeinsamkeiten.
Als Vergleichsfall dient Großbritannien mit Fokus auf England und Wales, für
dessen Wahl gegenüber alternativen Fällen drei Gründe sprechen : Erstens stand
Großbritannien in wirtschaftlicher und politischer Hinsicht – als Industriestaat
mit kleinem Agrarsektor und gefestigter parlamentarischer Demokratie aufseiten
der Anti-Hitler-Koalition
– im scharfen Kontrast zur noch stark agrarisch gepräg-
ten Ostmark als Teil des nationalsozialistischen „Großdeutschlands“. Zweitens bil-
dete das Vereinigte Königreich als Gravitationszentrum der seit dem späten 19.
Jahrhundert formierten Weltwirtschaft den Widerpart zum Deutschen Reich als
Führungsmacht des angepeilten kontinentaleuropäischen „Großraums“. Drittens
spricht für den britischen Fall das Vorliegen aktueller, mit meiner Studie vergleich-
barer Forschungen.53 Der zeitliche Systemvergleich setzt die NS-Ära in Beziehung
zum Übergang von der Wirtschaftskrise der 1930er Jahre bis zum Nachkriegs-
boom in den 1950er Jahren.
8.2 Großbritannien und die Ostmark im Krieg54
Das institutionelle Arrangement des britischen Agrarsystems wies im Vergleich
zum deutschen auf nationalstaatlicher Ebene neben den ins Auge springenden
Unterschieden auch einige Gemeinsamkeiten auf. Der Kriegsausbruch veranlasste
die britische Regierung vor dem Erfahrungshintergrund des Ersten Weltkrieges
und in Erwartung eines längeren, ressourcenzehrenden Konflikts, die Anfang der
1930er Jahre zur Bewältigung der Wirtschaftskrise begonnenen Staatsinterventio-
nen in die Agrarmärkte auszubauen. Um die starke Auslandsabhängigkeit zu ver-
ringern, suchte das bestehende Landwirtschaftsministerium die Inlandserzeugung
notwendiger und kalorienreicher Nahrungsmittel, vor allem kohlenhydratreicher
Pflanzen wie Getreide und Kartoffeln, zu steigern. Das neu geschaffene Ernäh-
rungsministerium trachtete die bedarfsgerechte Verteilung der erzeugten und ein-
geführten Nahrungsmittel mittels Preisregelung und Rationierung zu steuern. Ob-
wohl die überlappenden Kompetenzbereiche der beiden Ministerien in der Praxis
zu Reibungsverlusten führten, gelang es den Entscheidungsträgern, den Preisme-
chanismus als Triebfeder von Produktionswachstum und Konsumsicherung zu in-
stallieren : Agrargüter wurden zu relativ hohen Preisen von den Produzenten einge-
kauft und zu relativ niedrigen Preisen an die Konsumenten verkauft ; die Differenz
zwischen Einkaufs- und Verkaufspreisen trug der Staat. Zwar war dieser Subven-
tionsmechanismus anfällig für fehlerhafte Berechnungen, verspätetes Eingreifen
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Schlachtfelder
- Untertitel
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Autor
- Ernst Langthaler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 948
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937