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726 Eine grünbraune Revolution ?
Der Agrarsystemvergleich zwischen Großbritannien und Österreich als Teil des
Deutschen Reiches während des Krieges vermag ältere Gewissheiten in neuem
Licht zu betrachten. Die staatsgeleitete Umformung des Agrarsektors 1939 bis
1945 war im britischen Fall nicht dermaßen ‚erfolgreich‘89 und im österreichischen
Fall nicht dermaßen ‚erfolglos‘90 wie in der Literatur behauptet. Zwar bildete
Großbritannien den Schauplatz einer „staatsgeleiteten Agrarrevolution“, die, dem
kriegsbedingten Imperativ der nationalen Ernährungssicherheit folgend, binnen
weniger Jahre den nachhaltigen Übergang zu einem kapitalintensiven und staatlich
organisierten Agrarsystem in Gang brachte.91 Doch sowohl auf technischer Ebene,
etwa in der negativen Gesamtfaktorproduktivität, als auch auf institutioneller
Ebene, etwa im autoritären Eingriff in bisher gültige Landbesitzrechte, zeigen sich
die Grenzen der britischen Agrarentwicklung. Während der revolutionäre Charak-
ter der Agrarentwicklung für Großbritannien nicht überschätzt werden sollte, darf
er für Österreich nicht unterschätzt werden.92 Zwar wiesen die meisten Leistungs-
kennzahlen stagnierende oder abfallende Tendenz auf. Doch erfolgten sowohl auf
technischer Ebene, etwa in der Chemisierung und Motomechanisierung, als auch
auf institutioneller Ebene, etwa im Aufbau eines staatsgeleiteten, bis zum letzten
Hof ausgreifenden Steuerungsapparats, entscheidende Schritte in Richtung eines
produktivistischen Agrarsystems
– das sich jedoch erst in den Nachkriegsjahrzehn-
ten voll entfalten sollte.93
8.3 Österreich zwischen Krise und Boom
Ein Vergleich der NS-Ära in Österreich mit den vorangehenden und nachfolgen-
den Perioden soll deren agrarinstitutionelles Profil zusätzlich schärfen. Die aus dem
zerfallenen Habsburgerimperium hervorgegangene Republik (Deutsch-)Österreich
verfolgte nach dem Ende der kriegs- und nachkriegsbedingten Zwangswirtschaft
1922 im Interesse ihrer exportorientierten Großindustrie und leistungsschwachen
Landwirtschaft einen handelsliberalen Kurs mit moderaten Agrarzöllen. Da der zu
drei Viertel vom Bergland geprägte Kleinstaat von Getreideimporten abhing und
schwerpunktmäßig Fleisch- und Milchproduktion betrieb, machte sich die Agrar-
krise mit fallenden Weltmarktpreisen für Getreide ab Ende der 1920er Jahre spät,
aber dennoch heftig bemerkbar. Die von der Christlichsozialen Partei geführte
Mitte-Rechts-Koalitionsregierung sah sich Anfang der 1930er Jahre angesichts
der Weltwirtschaftskrise in einem agrarpolitischen Dilemma : Protektionismus zu-
gunsten der Landwirtschaft auf Kosten breiter Konsumentenkreise oder Marktli-
beralisierung zugunsten der Exportindustrie auf Kosten der
– am Weltmarkt kaum
wettbewerbsfähigen – bäuerlichen Produzenten.94
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Schlachtfelder
- Untertitel
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Autor
- Ernst Langthaler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 948
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937