Seite - 375 - in Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
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5. DIE ABGEBROCHENE „DORFAUFRÜSTUNG“
Manövrieren im Feld des Betriebskapitals
5.1 „Bauerntum“ und Technik – (k)ein Widerspruch ?
Wer den Donauländischen Bauernkalender 1943 aufblättert, dem bietet sich ein
scharfer Kontrast (Abbildung 5.1) : Auf der Titelseite prangt zwischen der Über-
schrift am oberen und dem Verweis auf Herausgeber und Verleger am unteren
Seitenrand, durch bräunliche Färbung hervorgehoben, das Signet des Reichsnähr-
standes mit Reichsadler, der „Blut und Boden“-Formel und dem mit Eichenlaub,
Schwert und Ähre drapierten Hakenkreuz ; es ist Teil eines in derselben Signalfarbe
gehaltenen Stilllebens, das landwirtschaftliche Handwerkzeuge – Sense, Dresch-
flegel, Rechen, Spaten, Heugabel und Sichel – sowie Erntefrüchte wie Kartoffeln,
Weintrauben, Getreide, Obst und Gemüse als symmetrisch geordnetes Ensemble
präsentiert. Auf der gegenüberliegenden Umschlaginnenseite kündigt der in klo-
bigen Buchstaben gehaltene Firmenname Lanz das Werbeinserat eines Landma-
schinenerzeugers
– „Europas größte[r] Landmaschinenfabrik“
– an. Das Gegenge-
wicht zum Firmennamen am oberen Seitenrand bildet die Illustration eines Lanz
Bulldog, eines gummibereiften Schleppers, ohne Fahrer am unteren Seitenrand.
Dazwischen erstreckt sich eine Bildserie, die den Einsatz verschiedener Land-
maschinen – neben dem Traktor weitere „wirkungsvolle Helfer“ des Bauern wie
Dreschmaschinen, Strohpressen und Bindemäher – auf dem Feld illustriert. Das
Bildporträt mechanisierter Landwirtschaft wird im Beitext präzisiert : Der Her-
steller habe sich „zum Ziel gesetzt, stets dem Fortschritt zu dienen und seine ganze
Leistungsfähigkeit eingesetzt, um Lanz-Maschinen noch besser, noch billiger, noch
leistungsfähiger zu gestalten [Hervorhebung im Original]“.1 Dieses Kontrastbild
–
ländliche Beschaulichkeit auf der einen, hektische „Erzeugungsschlacht“ auf der
anderen Seite – lässt zwei unterschiedliche Lesarten über das Verhältnis von Tra-
dition und Moderne zu : Standen sie im Gegensatz zueinander – hier der auf das
‚gute, alte‘ Landleben zurückgreifende Reichsnährstand, dort die dem technischen
„Fortschritt“ huldigende Landmaschinenindustrie –, oder ergänzten oder, mehr
noch, bedingten traditionelle und moderne Bezüge einander ?
Die Frage, die dieses – für die massenmediale Repräsentation von Landtech-
nik in der NS-Ära symptomatische – Kontrastbild aufwirft, hat nicht nur in der
Geschichtsforschung,2 sondern auch im zeitgenössischen (Agrar-)Technikdiskurs3
verschiedene Antworten gefunden. Die Geister schieden sich etwa in der deut-
schen Agrarökonomie daran, wie die „Leistung“ der Landwirtschaft zu bemessen
sei. Die Frontstellung verlief zwischen Wortführern, die eine hohe Bodenproduk-
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Schlachtfelder
- Untertitel
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Autor
- Ernst Langthaler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 948
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937