Seite - 277 - in Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Bild der Seite - 277 -
Text der Seite - 277 -
277Die
Steuerung des „Reichseinsatzes“
4.2 Die Steuerung des „Reichseinsatzes“81
Die Entscheidungsträger in den Führungsetagen des NS-Regimes sahen am Vor-
abend des Krieges die Lösung des Arbeitskräftemangels auf dem Land vor allem in
der „Ausstattung mit nationalen Kräften“82 ; die Beschäftigung ausländischer, meist
saisonaler Arbeitskräfte galt den meisten von ihnen als vorübergehende Notlösung.
Noch zur Jahresmitte 1939 bestand in Niederdonau die Hoffnung, „daß vermehr-
ter Einsatz von Landdienst, Erntedienst und Reichsarbeitsdienst sowie der Gliede-
rungen der Partei und Wehrmacht einen wesentlich erhöhten Bedarf ausländischer
Wanderarbeiter in der Folge vermeiden lässt [Hervorhebungen im Original]“.83
Gegen den Masseneinsatz ausländischer Arbeitskräfte wurden von offizieller Seite
sowohl wirtschafts- als auch rassenpolitische Motive ins Treffen geführt :
„Der Einsatz ausländischer Arbeitskräfte kann aber schon aus Gründen der Hintan-
haltung einer fremdvölkischen Unterwanderung nur in der Zeit des Spitzenbedarfes an
Arbeitskräften in Frage kommen, denn devisenmäßig gesehen, bedeutet die Einfuhr
von Arbeitskräften eine ebenso starke Belastung wie die Einfuhr von Nahrungsmit-
teln [Hervorhebungen im Original].“84
Doch die im September 1939 entfesselte Serie von „Blitzkriegen“, die 1941/42 in
einen zähen Abnützungskrieg mündete, übte einen Katalysatoreffekt auf den „Aus-
ländereinsatz“ aus. Die massenhafte und, im Vergleich zu anderen Wirtschafts-
zweigen, überproportionale Rekrutierung von Landarbeitern und Betriebsinhabern
deutscher Staatsbürgerschaft zur Wehrmacht und anderen Organisationen85 so-
wie die Verfügbarkeit wachsender Kontingente an Kriegsgefangenen und zivilen
Arbeitskräften aus den besetzten Gebieten West-, Süd-, Südost- und Osteuropas
rückte die Ausländerbeschäftigung in ein neues Licht. Die pragmatische Notlösung
der Vorkriegszeit wurde – jenseits ideologischer Bedenken gegen eine „fremdvöl-
kische Unterwanderung“ des Reichsgebiets – für die Dauer des Krieges in großem
Maßstab verlängert. Der „Reichseinsatz“ ausländischer Arbeiter/-innen erschien
gegenüber dem verschärften „Arbeitseinsatz“ des inländischen Kräftepotenzials,
vor allem der auf Mutter- und Hausfrauenrolle festgeschriebenen „deutschen Frau“,
als das geringere Übel.86 Die Vorschriften der Vierjahresplanbehörde zur Sicherung
der landwirtschaftlichen Erzeugung vom November 1939 etablierten das Regel-
werk für den „Reichseinsatz“ polnischer Arbeitskräfte und, in weiterer Folge, von
Angehörigen anderer Nationen in der deutschen Landwirtschaft.87 Sie lockerten
die Trennung der Kompetenzbereiche der mit dem „Arbeitseinsatz“ befassten Be-
hörden und forderten die enge Zusammenarbeit von Arbeitseinsatzverwaltung, all-
gemeiner Verwaltung, Wehrmacht, Reichsnährstand und Parteidienststellen.
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Schlachtfelder
- Untertitel
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Autor
- Ernst Langthaler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 948
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937