Seite - 151 - in Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
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3. „ENTJUDETE“ GÜTER, „DEUTSCHE“ BAUERNHÖFE
Manövrieren im Feld des Grundbesitzes
3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher
Bauernbesitz gewinnt den Volkstumskampf, betitelte die Nationalsozialistische Land-
post, das parteiamtliche Organ des Amtes für Agrarpolitik der NSDAP, im Juli
1939 einen Artikel über die Landbesitzverhältnisse im Marchfeld, der Ebene im
Nordosten Wiens. Wie in einem Brennglas bündeln sich darin die Stränge des
nationalsozialistischen Diskurses über Grundbesitz :
„Nur der besitzt den Boden, der ihn wirklich bebaut. In der Geschichte finden wir
viele Beweise für die Wahrheit dieses Wortes, das eine Bestätigung für die Schaffung
und den Schutz eines starken Bauerntums ist, das gesund und kräftig auf seinem Hof
sitzt und die Gewähr dafür bietet, daß dieses Land, das es beackert, auch wirklich der
Volksgemeinschaft erhalten bleibt. Die gegenteiligen Beweise zeigt uns der Ablauf
der Geschichte in den Ostseeländern, die mehr oder weniger verloren gingen, weil
dort nicht der Bauer das Land bebaute, sondern eine dünne Herrenschicht es besaß.
Eine vergangene Zeit, die den Boden als Ware betrachtete, hat in diese hochpoliti-
schen Erkenntnisse eine Bresche geschlagen, und heute sehen wir in manchen Teilen,
vor allem in der neu zu uns gekommenen Ostmark, eine Entwicklung, die, da sie meist
das Grenzland einbezieht, auch aus nationalpolitischen Gründen unerträglich ist. Ein
typisches Beispiel dafür ist das Marchfeld […].“1
Das Marchfeld dient in diesem Artikel als Bühne, auf der das Große
– der „Staats-
gedanke von Blut und Boden“2 – im Kleinen in Szene gesetzt wird. Zwei gegen-
läufige Szenarien werden dem Publikum vor Augen geführt : die Verwurzelung
des „Bauerntums“ mit der Scholle im Westen des „deutschen Lebensraumes“
und dessen Entwurzelung durch eine landbesitzende, sich auf Lohnarbeit stüt-
zende „Herrenschicht“ im Osten. Beide Szenarien gewinnen ihre Dramatik aus
der gedanklichen Verknüpfung von „Volkstum“ und Grundbesitz – von „Blut“ und
„Boden“ – als Triebfeder eines existenziellen Kampfes : Im ersten Fall erweist sich
das bodenständige „Bauerntum“ als Bastion der eigenen „Volksgemeinschaft“ ; im
zweiten Fall folgt der Gebietsverlust aus der Schwächung durch eine „volksfremde“
Grundbesitzerelite und Landarbeiterschaft.
Das Marchfeld wird zunächst zur Bühne, auf der sich das negative Szenario
unerbittlich Bahn bricht. Der „Volkstumskampf“ auf dem Marchfeld erscheint als
Überlebenskampf zwischen dem „Deutschtum“ und „Judentum“, in dessen Ge-
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Schlachtfelder
- Untertitel
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Autor
- Ernst Langthaler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 948
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937