Seite - 699 - in Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Bild der Seite - 699 -
Text der Seite - 699 -
8. EINE GRÜNBRAUNE REVOLUTION ?
Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich
8.1 Jenseits von Traditionalität und Modernität
Im April 1938 brachte die im Landkreis Neunkirchen erscheinende Schwarzataler
Zeitung einen ganzseitigen Artikel mit dem Titel Unsere Heimat in 10 Jahren. Der
Autor mit erkennbarem Regionalbezug versetzt sich darin in die Zeit „um das Jahr
1950“, um über den Wandel der regionalen Arbeits- und Lebensverhältnisse nach
dem „Anschluss“ Österreichs an das „Großdeutsche Reich“ zu spekulieren. Nach
ausführlichen Schilderungen zum Auf- und Ausbau von Industrie, Verkehrsnetz,
Energieversorgung und Tourismus kommt er auch auf den Agrarbereich zu spre-
chen :
„Natürlich ist der einheimische Bauernstand trotz der mit staatlicher Hilfe aufs
äußerste gesteigerten Produktion nicht mehr im Stande, den Bedarf an Nahrungs-
mitteln für unsere ansässige Bevölkerung zu decken, und es ist notwendig, auch von
auswärts aus weniger gesegneten Gegenden Landesprodukte einzuführen ; den Bau-
ern jedenfalls geht es nicht mehr schlecht, sie bringen alles an, was sie nur irgend
erzeugen können, ihre Schulden sind schon im ersten Jahre der Machtübernahme in
langfristige Hypotheken umgewandelt worden, die Zins- und Steuerleistungen sind
dem Erträgnis der Wirtschaft angepasst worden und mit dem Verkauf von einem
oder dem anderen Villenbaugrund haben sich die meisten vollkommen schuldenfrei
gemacht. Die Arbeit ist auch viel leichter geworden, man hat überall Maschinen und
der Getreidebau, der soviel Mühe und Plage gebracht hat, hat ganz aufgehört, weil
der Bauer seine Milch und seine Ochsen gut anbringen kann und darum Geld hat,
sich Mehl zu kaufen.“1
Arbeitserleichterung durch Mechanisierung, Kostenvorteile durch Spezialisierung,
Einkommenssicherheit durch Marktpreisstabilität – so der Kontrast der kom-
menden „neuen Zeit“, der nationalsozialistischen „(Land-)Volksgemeinschaft“ als
(Agrar-)Wohlfahrtsgesellschaft, zur krisenhaften „Systemzeit“ vor 1938. Der ag-
rarische Erwartungshorizont beginnt sich vom Erfahrungsraum abzuheben ; damit
öffnet sich eine Nische, in der eine gegenüber der Vergangenheit grundlegend an-
dere, ‚moderne‘ Zukunft Gestalt annimmt.2 Diese Vision einer (Agrar-)Moderne
scheint nicht nur denk-, sondern auch machbar
– denn deren Realisierung gilt dem
Autor als „im Großen und Ganzen fast sicher“. Der außergewöhnliche Normalfall
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Schlachtfelder
- Untertitel
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Autor
- Ernst Langthaler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 948
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937