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7. ORDNUNG UND CHAOS DES MARKTES
Manövrieren im Feld der Agrargüter
7.1 Der Markt und seine (Un-)Ordnung
Eines der Dogmen der nationalsozialistischen Wirtschaftspolitik im Allgemeinen
und der Agrarpolitik im Besonderen lautete, die „Unordnung“ des freien Mark-
tes durch die Ordnung des regulierten Marktes zu ersetzen.1 Die populär auf-
gemachte Broschüre Landvolk und Landwirtschaft im Grossdeutschen Reich fasste
dies in die Metapher eines reißenden Stromes
– der „ungeordneten liberalistischen
Wirtschaft“ –, der durch ein System von Schleusen, Kanälen und Staudämmen –
die „geordnete nationalsozialistische Wirtschaft“ – gebändigt werden müsse (Ab-
bildung 7.1).2 Dieser Glaubensgrundsatz speiste sich teils aus der Erfahrung der
wirtschaftlich turbulenten Kriegs- und Nachkriegsära, teils aus deren Überspit-
zung im populären Diskurs zur „Chaoszeit“.3 Charakteristisch für die staatliche
Marktregulierung in der Ostmark war die fast gleichzeitige Einführung der frie-
densmäßigen Marktordnung und der kriegsbedingten Bewirtschaftung. Die or-
ganisatorische Basis beider Regulative bot der Reichsnährstand.4 Die Etablierung
des NS-Regimes in Österreich 1938 eröffnete, ähnlich wie jene des austrofaschisti-
schen Regimes 1933/34,5 eine Debatte über Form und Inhalt des Korporativismus
im Agrarbereich. Zwar stand für die NS-Eliten außer Frage, dass der seit 1933 im
„Altreich“ bestehende Reichsnährstand das vorangegangene „System“ mit seiner
„vollkommen willkürliche[n] Personalpolitik“ – repräsentiert durch Josef Reither,
Leopold Figl und andere katholisch-konservative Agrareliten
– in der Ostmark er-
setzen sollte. Doch waren damit zusammenhängende Fragen, etwa die Grenzen der
Landesbauernschaften, zunächst unentschieden. Weder die – erst 1942 nachträg-
lich gebildeten – Landesbauernschaften nach den Gaugrenzen, noch die – von ös-
terreichischen Nationalsozialisten favorisierte – „Landesbauernschaft Österreich“,
sondern die Landesbauernschaften Donauland, Alpenland und Südmark wurden
1938 eingerichtet.6 Bei der Eingliederung des österreichischen Agrarsektors in den
Reichsnährstand konnten die NS-Experten einerseits an das bestehende Netzwerk
landwirtschaftlicher Organisationen – die entweder eingegliedert, angeschlossen
oder aufgelöst wurden –,7 andererseits an die seit 1931 im Rahmen des „agrari-
schen Kurses“ geschaffenen Marktordnungsinstrumente anknüpfen.8
Bei der Besetzung leitender Positionen kamen, zur Enttäuschung „ostmärki-
scher“ Bewerber, in vielen Fällen Experten aus dem „Altreich“ zum Zug.9 Doch an
der Spitze der Landesbauernschaft Donauland, die die Reichsgaue Niederdonau,
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Schlachtfelder
- Untertitel
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Autor
- Ernst Langthaler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 948
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937