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187Verbäuerlichung
durch „Entjudung
neten sich durch hohe Anteile „arisierter“ Fälle aus. Andererseits zählten dazu
Zwettl, Horn und Waidhofen an der Thaya, drei zusammenhängende Kreise in
der Nähe des Truppenübungsplatzes Döllersheim sowie der Reichsgrenze zum
Zeitpunkt des „Anschlusses“, mit hohen Anteilen „arisierter“ Flächen. Die Prob-
lemzonen mit ungünstigen Betriebsgrößenverteilungen im Hinblick auf die Erbho-
fanlegung umfassten die südmährischen Kreise Nikolsburg und Znaim sowie die
ehemals burgenländischen Kreise Eisenstadt und Oberpullendorf. Hier lagen die
Erbhofgrößen am unteren Rand des Spektrums, was zweifellos mit der regionalen
Verbreitung ertragsstarker Weinbau- und Hackfruchtwirtschaften zusammenhing.
Zur Region mit unterdurchschnittlicher Erbhofdichte, aber überdurchschnittlicher
Arisierungsquote zählten die Kreise Wiener Neustadt, Baden, Mistelbach und
Krems. Da die Kreise Baden und Wiener Neustadt auch Voralpengebiete einschlos-
sen, lagen dort die Erbhofgrößen über dem Durchschnitt. Das gegenteilige Bild
zeigten die Kreise St. Pölten, Melk und Scheibbs ; hier gingen überdurchschnittli-
che Erbhofdichten mit weit unter dem Durchschnitt liegenden Arisierungsquoten
einher. In beiden bodenpolitischen Mittellagen wurden die Erbhofdichten durch
die Verteilungen der Betriebsgrößen – in ersterem negativ, in letzterem positiv –
beeinflusst. Einen Sonderfall stellte der südmährische Kreis Neubistritz mit seinen
Ende 1941 noch nicht „arisierten“ Großgrundbesitzungen dar (Tabelle 3.3). Zwei
Hotspots der nationalsozialistischen Bodenpolitik in Niederdonau, die Muster-
kreise Gän sern dorf und Horn, versprechen genauere Aufschlüsse zur Praxis von
„Arisierung“ und Erbhofbildung.
3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“
Die Arbeitsgemeinschaft „Marchfeld“ der Wiener Deutschen Studentenschaft
hatte ihr Untersuchungsfeld trefflich gewählt. Der Landkreis Gän sern dorf lag
hinsichtlich des Wertes land- und forstwirtschaftlicher Liegenschaften im Be-
sitz jüdischer Personen mit 5,9 Millionen Reichsmark an der Spitze Niederdo-
naus ; hier war der behauptete „völkische Bodenverlust“ am augenscheinlichsten.
Der nicht ganz vollständigen151 Übersicht der Oberen Siedlungsbehörde über
die „Arisierung“ in Niederdonau von Ende 1941 zufolge konzentrierten sich die
bereits abgeschlossenen Verfahren in den Gemeinden des Marchfeldes im Süden
des Kreises ; nur vereinzelt waren im nördlich anschließenden Weinviertel „end-
judete“ Liegenschaften zu finden (Abbildung 3.6). Das Spektrum der „arisierten“
Werte – insgesamt über sieben Millionen Reichsmark oder knapp 4.200 Hektar
Land
– war enorm : Die erheblich unter dem tatsächlichen Wert liegenden Kauf-
preise reichten von 700 Reichsmark für eine 0,9 Hektar große Parzelle von Fritz
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Schlachtfelder
- Untertitel
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Autor
- Ernst Langthaler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 948
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937