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230 „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe
Hauswirtschaft ab ; davon ausgenommen waren Verheiratete und bereits in diesen
Wirtschaftszweigen Beschäftigte.312 Die ausgewählten Fälle lassen erahnen, dass
Erbhofeigentümer mit sich verschärfendem Arbeitskräftemangel infolge „Land-
flucht“ und Militärdienst313 die gesetzlichen Anforderungen der „Wirtschafts-
fähigkeit“ in immer geringerem Maß erfüllen konnten. Damit liefen vor allem
Frauen als Betriebsleiterinnen von kleineren Erbhöfen in abgelegenen Gebieten,
die fehlende Familienarbeitskräfte kaum durch Kriegsgefangene oder ausländische
Zivilarbeiter/-innen ersetzen wollten oder konnten,314 in erhöhtem Maß Gefahr,
ihre Wirtschaftsführung vor dem AEG rechtfertigen zu müssen.
3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort
Die landwirtschaftliche „Arisierung“, gekoppelt mit der „Neubildung deutschen
Bauerntums“, sowie die Erbhofgerichtsbarkeit markierten die Extreme der nati-
onalsozialistischen Bodenpolitik ; sie betrafen zusammen rund 800.000 oder gut
ein Drittel der 2.200.000 Hektar land- und forstwirtschaftlicher Betriebsfläche in
Niederdonau.315 Dazwischen lag die Normalität des „ländlichen Grundstücksver-
kehrs“, des Transfers von Landparzellen in den Händen der Eigentümer/-innen und
Nutzer/-innen. Auch das darauf bezogene Regelwerk sollte die uneingeschränkte
Verfügung über Grund und Boden gemäß der „liberalistisch-kapitalistische[n]
Auffassung vom Privateigentum“ beseitigen ; stattdessen wurde der Landbesitz ge-
mäß dem „öffentlichen Interesse“ der staatlichen Kontrolle unterworfen.316 Kurz,
der staatlich gesteuerte „Grundstücksverkehr“ sollte den von Privatinteressen be-
herrschten Bodenmarkt ablösen. Dies wäre auf die Einzementierung der bäuerli-
chen Grundbesitzverhältnisse hinausgelaufen : Eigentümerwechsel konnten abge-
lehnt, Pachtverträge fortgeschrieben werden. Doch wie wurden die Normen des
„Grundstücksverkehrs“ in der Praxis wirksam ? An (unter-)bäuerlichen Betrieben
in den Regionen Litschau, Mank und Matzen sowie Gutsbetrieben im Kreis Gän-
sern dorf 1941 bis 1944 soll diese Frage beantwortet und, mit Bezug auf Agrarsys-
teme und korrespondierende Landwirtschaftsstile, interpretiert werden.
Für die Jahre vor 1941 sind mangels Hofkartendaten zwar keine feingliedri-
gen Auswertungen möglich ; doch bietet die Auswertung von Buchführungsergeb-
nissen für die Landesbauernschaft Donauland für die Wirtschaftsjahre 1938/39
(145 Betriebe) und 1939/40 (126 Betriebe)317 grobe Anhaltspunkte für das letzte
Friedens- und das erste Kriegsjahr (Tabelle 3.12). Die Flächenausstattung ent-
wickelte sich, je nach Produktionsgebiet, in unterschiedlicher Weise : Während
manche Buchhaltungsbetriebe, vor allem jene im Pannonischen Flach- und Hü-
gelland, an Kulturfläche hinzugewannen, verzeichneten andere, vor allem jene im
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Schlachtfelder
- Untertitel
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Autor
- Ernst Langthaler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 948
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937