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55Höfe
im Fokus der Buchführung
meist mit Daten auf hohem Aggregationsniveau ; komplexere Aussagen erfordern
anderweitig aggregierte Daten, wie sie etwa Buchführungsergebnisse bieten.
2.3 Höfe im Fokus der Buchführung
Die landwirtschaftlichen Buchführungsergebnisse für Niederösterreich 1937 folg-
ten anderen Konstruktionsregeln als die reichsdeutsche Betriebszählung 1939 :
Nicht die Gesamtheit, sondern nur einige Hundert durchwegs mittel- oder groß-
bäuerliche Betriebe wurden erfasst ; die Datenerhebungen erfolgten nicht durch
amtliche Zählorgane, sondern durch jene Betriebsbesitzer, die der Buchstelle der
Landes-Landwirtschaftskammer entsprechende Aufzeichnungen zur Verfügung
stellten ; vor allem aber war die Bemessung von Bodennutzung, Viehbesatz, Ar-
beitskräfteverfassung und anderen Merkmalen nicht der eigentliche Zweck der
Erhebung, sondern nur Mittel zur Berechnung der betrieblichen Rentabilität. Die
Logik der Rentabilitätsberechnung wurde von liberalen Agrarwissenschaftern des
19. Jahrhunderts, vor allem Albrecht Daniel Thaer und Johann Heinrich von Thü-
nen, ausformuliert. Als Maß für die Rentabilität eines Landwirtschaftsbetriebs
werteten sie den Reinertrag ; diesen galt es, im Sinn der „rationellen“ Landwirt-
schaft, durch Optimierung der Betriebsorganisation zu maximieren.65 Mit der
Verdichtung des Netzes agrarwissenschaftlicher Forschungs- und Lehranstalten
sowie der Gründung landwirtschaftlicher Massenorganisationen Ende des 19. und
Anfang des 20. Jahrhunderts verbreitete sich die Buchführungstechnik jenseits
der akademischen Grenzen. Internationalen Einfluss erlangten die Rentabilitäts-
erhebungen des 1898 gegründeten Schweizerischen Bauernsekretariats unter der
Leitung von Ernst Laur, nach dessen Vorbild in vielen Staaten Europas landwirt-
schaftliche Buchstellen eingerichtet wurden.66
In Österreich etablierte vor allem die 1922 gegründete niederösterreichische
Landes-Landwirtschaftskammer67 die Rentabilitätserhebung als politisch-ökono-
misches Machtdispositiv. Nach unten hin, in der Beratung der Zwangsmitglie-
der, warb die kammereigene Buchstelle über das feinmaschige Organisationsnetz
Betriebsbesitzer für die Buchführung an, organisierte entsprechende Kurse und
stellte in Veröffentlichungen agrarökonomische Rentabilitätsstandards auf. Nach
oben hin, in der Interessenvertretung auf Landes- und Bundesebene, diente die
Buchführungsstatistik den Landwirtschaftskammern als agrarpolitische Argu-
mentationsgrundlage.68 Denk- und handlungsleitend war dabei die Vorstellung
eines übergreifenden, aus Einzelbetrieben aggregierten ‚Meta-Betriebes’ als Be-
zugspunkt agrarpolitischer Regulierung. Entsprechend erläuterte Anton Steden
als Unterrichtsreferent der niederösterreichischen Landes-Landwirtschaftskam-
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Schlachtfelder
- Untertitel
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Autor
- Ernst Langthaler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 948
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937