Seite - 100 - in Wien als Festungsstadt im 16.Jahrhundert - Zum kartografischen Werk der Mailänder Familie Angielini
Bild der Seite - 100 -
Text der Seite - 100 -
100 | Ferdinand Opll
naturräumlichen Gegebenheiten als auch ganz grundsätzlichen und offenkundig seit
jeher gültigen Überlegungen, wie sie auch für andere Machtbereiche, darunter nicht
zuletzt den der osmanischen Herrschaft über weite Teile des Königreichs Ungarn, cha-
rakteristisch sind.35 Für die von den Vertretern der Hohen Pforte dominierten Berei-
che ist von allem Anfang der osmanischen Expansion nach Westen ganz besonders
kennzeichnend, wie etwa der schon seit der Antike als Grenze fungierende Donau-
strom entsprechende Beachtung für die eigenen Eroberungsvorhaben hatte. Bei ihrem
Vorgehen gegen Buda im Jahre 1541 folgten die Osmanen einem regelrechten »Erobe-
rungsplan«, der sich – als Liste, nicht als gezeichneter Plan – im Archiv in Istanbul
erhalten hat und in dem, gegliedert nach den lokalen Herren, maßgebliche ungarische
Festungen aufgelistet und zum Teil mit kurzen historischen Hinweisen versehen wer-
den.36 Das Königreich Ungarn war nicht nur aus Sicht der Habsburger, die ab 1527 die
Herrschaft im Lande im Erbwege übernommen hatten, ein ganz vorrangiges Objekt
ihrer politisch-militärischen Maßnahmen, ebenso galt dies – gleichsam mit umge-
kehrten Vorzeichen und eindeutig unter dem Prätext der Offensive und nicht der De-
fensive – natürlich auch für die Hohe Pforte, die es ab 1526 verstand, sich in vielfach
geschickter, vor allem aber lang wirksamer Weise weiter Teile des Regnum Hungariae
zu bemächtigen. Dass diesem Zweck auch seitens der Pforte kartografisches Material
diente, wird an anderer Stelle noch eingehender zu behandeln sein.37
Das Werk der Angielinis ordnet sich im Hinblick auf seine Raumerfassung in eine
Reihe von anderen, sowohl im Druck erschienenen als auch handgezeichneten kartogra-
fischen Arbeiten hoher Qualität wie auch solcher einfacheren Zuschnitts ein. Das Be-
mühen um genaue Kenntnisse der immer wieder mit Waffengewalt umkämpften Grenz-
gebiete fand mit den »Angielini«-Atlanten auch kein Ende, vielmehr standen diese an
dessen Anfang, und noch bis weit ins 18. Jahrhundert hinein setzte man vergleichbare
Bestrebungen fort. Es mag genügen, diese Hinweise auf die umfassende Tätigkeit von
Kartografen im Kontext der weit mehr als ein Jahrhundert währenden habsburgisch-
osmanischen Gegensätze hier an den Schluss zu setzen. Sie zeigen nicht nur, vor welch
breit gefächertem Hintergrund das Werk der Angielinis zu sehen und zu bewerten ist,
sie machen auch deutlich, worin der eigentlich Grund dafür gelegen ist, dass der Bereich
des historischen Königreichs Ungarn während der frühen Neuzeit zu den kartografisch
ganz besonders intensiv und gut erfassten Landschaften Europas gehört.
35 Vgl. dazu Ágoston, Environmental and Frontier Studies, 66 f.: »As in other parts of the world, border
defence systems along the Ottoman-Hungarian/Hapsburg frontier often followed major rivers and used
river systems, marshland, mountains and other natural defensive features that geography offered.«
36 Istanbul, Topkapı Sarayı Müzesi Arşivi, E. 11769, vgl. dazu Fodor, Ottoman policy towards Hungary,
315–324 (mit englischer Übersetzung).
37 Siehe dazu unten im Kapitel zur kartografischen Überlieferung für Ungarn, S. 101–111.
Open Access © 2017 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Wien als Festungsstadt im 16.Jahrhundert
Zum kartografischen Werk der Mailänder Familie Angielini
- Titel
- Wien als Festungsstadt im 16.Jahrhundert
- Untertitel
- Zum kartografischen Werk der Mailänder Familie Angielini
- Autoren
- Ferdinand Opll
- Heike Krause
- Christoph Sonnlechner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20210-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 586
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Inhalt
- Einleitung 9
- Die Angielinis, ihr Werk und Wirken 10
- Wien als Festungsstadt 13
- Terminologie und Onomastik 14
- Internet 16
- Abbildungen 17
- Dank 17
- 1 Die Familie Angielini und ihr kartografisches Schaffen 21
- 1.1 Biografisches 21
- 1.2 Das beruflich-persönliche Umfeld der Angielinis 38
- 1.3 Das kartografische Werk der Familie Angielini 44
- 1.4 Die Überlieferungen der »Angielini«-Atlanten in Wien, Dresden und Karlsruhe 51
- 1.5 Exkurs : Die in den fünf »Angielini«-Atlanten vorkommenden Wasserzeichen 52
- 1.6 Analyse und Autopsie der fünf »Angielini«-Atlanten 59
- 2 Der in den »Angielini«-Atlanten erfasste Raum 87
- 3 Der ungarische Raum und die Stadt Wien in frühen kartografischen Zeugnissen 101
- 4 Der frühneuzeitliche Festungsbau in Theorie und Praxis 127
- 5 Wien wird Festungsstadt – Der Ausbau nach der Belagerung von 1529 bis in die Mitte der 1560er Jahre 147
- 5.1 Die fortifikatorischen Folgen der Ersten Türkenbelagerung von Wien im Jahr 1529 147
- 5.2 Der Festungsbau aus umwelthistorischer Perspektive 197
- 6 Autopsie und Kontextualisierung der drei »Angielini«-Pläne von Wien 221
- 6.1 Das weitere Umfeld – eine Annäherung an die Stadt 221
- 6.2 Die unmittelbare Umgebung der Stadt 228
- 6.3 Die Befestigung 250
- 6.3.1 Bastei bei dem Burgtor 252
- 6.3.2 Bastei zwischen Burg- und Schottentor 255
- 6.3.3 Bastei beim Schottentor 258
- 6.3.4 Elendbastei 261
- 6.3.5 Arsenal und Reste der mittelalterlichen Stadtmauer 263
- 6.3.6 Neutorbastei 267
- 6.3.7 Mittelalterliche Stadtmauer zwischen Werdertor und Piattaforma samt neuer Kurtine 268
- 6.3.8 Piattaforma 268
- 6.3.9 Mittelalterliche Stadtmauer zwischen Piattaforma und Biberbastei 270
- 6.3.10 Biberbastei 272
- 6.3.11 Bastei bei den Predigern 274
- 6.3.12 Stubentor und angrenzende Kurtinen 277
- 6.3.13 Untere Paradeisbastei 278
- 6.3.14 Unteres Zeughaus auf der Seilerstätte 281
- 6.3.15 Obere Paradeisbastei 282
- 6.3.16 Bastei beim Kärntner Tor 286
- 6.3.17 Mittelalterliche Stadtmauer und sogenannter Augustinerturm 290
- 6.3.18 Stadtgraben 292
- 6.3.19 Resümee 293
- 6.4 Das Stadtinnere 294
- 7 Zusammenfassung und Summary 305
- 8 Tafeln 313
- 9 Anhang 325
- 9.1 Die mit dem kartografischen Schaffen der Familie Angielini in Verbindung stehenden kartografischen Darstellungen 325
- 9.2 Anzahl der in den »Angielini«-Atlanten enthaltenen Stadtpläne, Festungsgrundrisse und -schrägansichten 457
- 9.3 Reihenfolge der in den Überlieferungen der »Angielini«-Atlanten enthaltenen kartografischen Darstellungen 459
- 9.4 Konkordanz der in den Stadtplänen, Festungsgrundrissen und -schrägansichten der »Angielini«-Atlanten verwendeten Ortsnamen 462
- 9.5 Italienische Festungsbaumeister des 16. Jahrhunderts (bis ca. 1580) und ihre Einsatzgebiete im habsburgisch-osmanischen Grenzbereich 466
- 9.6 Festungsbautraktate des 15. und 16. Jahrhunderts und ihre Autoren 479
- 9.7 Chronologisches Verzeichnis der im Buch häufig verwendeten Wien-Pläne und Wien-Ansichten (15.‒18. Jahrhundert) 483
- 10 Glossar 494
- 11 Verzeichnisse 499