Seite - 141 - in Zeitwesen - Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
Bild der Seite - 141 -
Text der Seite - 141 -
2.3 Aloys Wach – Selbstbespiegelungen eines Suchenden | 141
ich hatte sozusagen zwei Ebenen, auf denen ich Erlebnisse hatte. Oft auf beiden zu gleicher
Zeit. Das Wie ist schwer zu schildern. Tatsache ist das, denn dadurch erklärt sich auch der
Hang zur Absonderung, zur Einschichtigkeit. Die Hellsichtigkeit hat sich bald verloren.
Die Aussagen der Schriften über dieses Gebiet haben mir viel erklärt. Heute, wo ich weiß,
dass die Möglichkeit eines Kontaktes besteht mit den Strömen des Astralen, heute weiß
ich, dass ich damals als Kind naturhaft mich in diese Ströme einfügen konnte und da-
durch bildhaft schauen konnte und Unerklärliches sah, das heute noch zum Teil in meiner
Erinnerung haftet. Es ist mir heute noch rätselhaft wie damals. Nur: als Kind schien mir
das Erlebte selbst verständlich, einfach, durchsichtig. Ich habe nicht gefragt. Es war meine
Welt. […] Davon berichten muss ich, denn die Art zu sehen und insbesondere Farben zu
sehen, datiert aus jener fernen, raumlosen Kinderzeit.“197
Seine künstlerische Tätigkeit interpretierte Wach in seinem Lebensrückblick als
seine Form der Selbstfindung („Es ist keine malerische Begabung, sondern eine
spezifische Art der Selbstfindung durch das tätige Werk“),198 dementsprechend
konnte ihn nicht die akademische Ausbildung zum Künstler werden lassen, son-
dern nur das Leben selbst, beziehungsweise die „Erfahrungen“. Seinen Ausbil-
dungsweg schilderte er daher wieder nur kursorisch. Über die Ausbildungsstati-
onen – Volksschule Lambach, Sängerknabe im Stift Lambach, Bürgerschule Wels,
Kaufmannslehre und schließlich Akademie in Wien und München – berichtete er
in seinem Rückblick zunächst nicht viel, eigentlich erfolgte nur die Bewertung die-
ser Stationen als „nutzlos“.199 An späterer Stelle, im Eintrag des darauffolgenden
Tages (16. Juli 1929), kam er allerdings nochmals auf jene Jahre zurück. Erst die
Begegnung mit Richard Janthur, der in Berlin sein Lehrer wurde, wertete er als
„ersten Schlüssel, der taugte“, der zweite sei die „gute moderne Literatur“ gewesen,
Balzac und Strindberg.200
Es folgte eine Beschreibung seiner Zeit in Paris. Wach reiste 1913 nach Paris,
tauchte dort in die großstädtische Künstlerbohème ein, machte Drogenerfahrungen,
lebte in bitterer Armut und lernte vor allem die expressionistische Ausdrucksweise
kennen. Zum Zeitpunkt der Niederschrift seiner „biographischen Notizen“ hatte er
sich nicht nur von dieser Lebensphase, sondern vor allem vom Expressionismus
klar distanziert. Es verwundert daher nicht, dass die Erwähnung der Pariser Zeit zu-
197 Aloys Wach, Biographische Notizen 1929 (mit Nachträgen 1931), Eintrag 15.7.1929.
198 Aloys Wach, Biographische Notizen 1929 (mit Nachträgen 1931), Eintrag 15.7.1929.
199 Aloys Wach, Biographische Notizen 1929 (mit Nachträgen 1931), Eintrag 15.7.1929. Konkret heißt
es: „Es scheint mir überflüssig zu sein, die nutzlosen Stationen des Lebens zu verzeichnen; jene
Zeiten, in denen man sinnlos nach dem Schlüssel des eigenen Wesens getastet hat.“
200 Aloys Wach, Biographische Notizen 1929 (mit Nachträgen 1931), Eintrag 15.7.1929.
Open-Access-Publikation im Sinne der Lizenz CC BY 4.0
Zeitwesen
Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Titel
- Zeitwesen
- Untertitel
- Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Autor
- Birgit Kirchmayr
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23310-7
- Abmessungen
- 17.3 x 24.5 cm
- Seiten
- 468
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 11
- Fragestellung und Ausgangsthesen 11
- Theoretische Bezugsrahmen 14
- Quellen 17
- „Zeitwesen“ oder: die ProtagonistInnen 20
- 1 Auto/Biographieforschung – KünstlerInnenforschung 33
- 2 KünstlerInnen über sich 79
- 2.1 Alfred Kubin – ein autobiographical life 80
- 2.2 Oskar Kokoschka – der biographische „Jongleur“ 105
- 2.3 Aloys Wach – Selbstbespiegelungen eines Suchenden 136
- 2.4 Erika Giovanna Klien – Autobiographische Fragmente 150
- 2.5 Margret Bilger – Autobiographisches wider Willen 164
- 2.6 Erstes Resümee oder: Wie KünstlerInnen über sich schreiben und dabei „biographische Formeln“ verwenden 175
- 3 KünstlerInnen und gesellschaftliche Diskurse 179
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 3.1.1 Alfred Kubin und die Misogynie der Moderne 185
- 3.1.2 „Mörder, Hoffnung der Frauen“: Oskar Kokoschka und die (modernen) Amazonen 206
- 3.1.3 Erika Giovanna Klien – schwierige Emanzipationswege einer „neuen“ Frau 214
- 3.1.4 Zerrissenheit und Identitätssuche – Geschlechterbilder bei Margret Bilger 220
- 3.2 Geschwindigkeit – Fortschrittseuphorie versus Kulturpessimismus 232
- 3.2.1 Alfred Kubins Traumstadt „Perle“ als Versuchsstation der Fortschrittsverweigerung 236
- 3.2.2 „Im Riesengefängnis New York“: Erika Giovanna Klien und ihr Verhältnis zu Stadt, Geschwindigkeit und Technik 245
- 3.2.3 Der Rückzug aufs Land: Alfred Kubin und Margret Bilger 256
- 3.2.4 „Haste nicht und raste nie. Sonst hastet die Neurasthenie“: ein Exkurs zum Nervendiskurs 264
- 3.3 Esoterik – Spirituelle Sinnsuche im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert 271
- 3.4. Zweites Resümee oder: Welche Diskurse der Moderne die KünstlerInnen bewegten 308
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 4 KünstlerInnen und Politik – Von der Monarchie bis zum Nationalsozialismus 313
- 4.1 Die Legende vom unpolitischen Künstler – Zum Verständnis von Kunst und Politik bis 1945 315
- 4.2 Erster Weltkrieg und das Ende der k. u. k. Monarchie 319
- 4.3 Zwischen den Kriegen: Revolution(en), Republik(en), „Ständestaat“ 349
- 4.3.1 Der „Kunstlump“ – Oskar Kokoschka und die (deutsche) Revolution 353
- 4.3.2 Aloys Wach und die Münchner Räterepublik 360
- 4.3.3 Aus der Distanz: Erika Giovanna Klien und die österreichische Zwischenkriegszeit 368
- 4.3.4 „Weil ich nicht in der Vaterlandspartei bin“: Positionen zum „Ständestaat“ bei Oskar Kokoschka und Alfred Kubin 373
- 4.4 Nationalsozialismus 382
- 4.4.1 „… diese stummen Geister der Auflehnung“: Alfred Kubin und der Nationalsozialismus 385
- 4.4.2 Oskar Kokoschka: Selbstbildnis eines „entarteten“ Künstlers 397
- 4.4.3 „22° Waage“: Aloys Wach und der Nationalsozialismus 404
- 4.4.4 „… hätte ich aber die conträren Gesinnungen“: Margret Bilger und der Nationalsozialismus 409
- 4.5 Drittes Resümee oder: Wie politisch waren die „unpolitischen“ KünstlerInnen? 422
- Dank 426
- Abkürzungsverzeichnis 428
- Tabellen- und Abbildungsverzeichnis 429
- Quellen- und Literaturverzeichnis 431
- Archive und Sammlungen 431
- Zeitungen/Zeitschriften/Jahrbücher 432
- Literatur und gedruckte Quellen 432
- Personenregister 463