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| 4 KünstlerInnen und Politik – Von der Monarchie bis zum
Nationalsozialismus320
traumatischen Erfahrungen, die Kokoschka im Ersten Weltkrieg machen musste,
scheinen sein prinzipiell nostalgisches k.
u.
k. Bild nicht beschädigt zu haben. Nichts-
destotrotz stellte der Erste Weltkrieg eine besondere Zäsur in seinem Lebenslauf dar.
Generell zeigte sich der Erste Weltkrieg als zentraler Einschnitt für die Künstler der
vormaligen Habsburgermonarchie. Der euphorischen Anfangsstimmung und Zu-
stimmung zum Krieg schlossen sich viele VertreterInnen des Kulturlebens an, nicht
zuletzt aus einer kulturpessimistischen Perspektive, die dem Krieg das Potential ei-
ner reinigenden Katharsis zusprach.25 Freilich sollte sich diese Stimmungslage bald
ändern.
Ausbruch und Verlauf des Kriegs prägten auch die künstlerische Produktion je-
ner Jahre. Wie von Christoph Bertsch und Markus Neuwirth gezeigt, ist die Va-
rietät der Kriegsbilder österreichischer KünstlerInnen groß und reicht von Albin
Egger-Lienz‘ großformatigen Ölbildern wie „Die Namenlosen“ (1914) oder „Missa
Eroica“ (1918) bis hin zu feinen Federzeichnungen von Klemens Brosch wie „Si-
esta der Henker“ von 1916.26 Vor der Kulisse dreier am Strick baumelnder lebloser
Körper machen die „Henker“ Mittagsrast. Eindrucksvoll zeigt diese Zeichnung des
Künstlers, der wie Kokoschka in Galizien an der Front war und nach einem Lun-
genleiden morphiumsüchtig wurde, die Gräuel des Großen Kriegs.27 Solche Bilder
waren allerdings nicht gefragt. Vielmehr sollten die Künstler den Krieg in heroisch-
patriotischer Weise dokumentieren. Zu einer Instrumentalisierung von Kunst und
Künstlern kam es über die Einrichtung einer Kunstgruppe im Kriegspressequartier
(KPQ) des Armeeoberkommandos. Im Dienste der Kriegspropaganda hatten die
Künstler der Kunstgruppe die Aufgabe, das Geschehen an der Front bildlich fest-
zuhalten. Die Vorgaben dafür waren rigide, stilistische oder auch inhaltliche Frei-
heiten gab es dabei kaum. Es verwundert daher nicht, dass der freiheitsstrebende
Oskar Kokoschka seine Tätigkeit als Kunstmaler des KPQ als wenig befriedigende
Aufgabe ansah und in seiner rückblickenden Autobiographie auch nicht oder nur
eingeschränkt erwähnte, wie noch gezeigt werden wird.
25 Joes Segal, Krieg als erlösende Perspektive für die Kunst, in: Wolfgang J. Mommsen (Hg.), Kultur
und Krieg. Die Rolle der Intellektuellen, Künstler und Schriftsteller im Ersten Weltkrieg München
1996, 165–170
26 Alle genannten Werke als Abbildungen in Christoph Bertsch/Markus Neuwirth, Krieg. Aufruhr.
Revolution. Bilder zur Ersten Republik in Österreich, Wien 1995. Vgl. zum Thema auch Matthias
Boeckl, Österreichische Künstler und der Erste Weltkrieg, in: Zeitreise Österreich, Sonderausgabe
2014, 88–91.
27 Vgl. Elisabeth Nowak-Thaller, Klemens Brosch. Kunst und Sucht des Zeichengenies, Linz 2016,
bes. 87–111.
Open-Access-Publikation im Sinne der Lizenz CC BY 4.0
Zeitwesen
Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Titel
- Zeitwesen
- Untertitel
- Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Autor
- Birgit Kirchmayr
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23310-7
- Abmessungen
- 17.3 x 24.5 cm
- Seiten
- 468
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 11
- Fragestellung und Ausgangsthesen 11
- Theoretische Bezugsrahmen 14
- Quellen 17
- „Zeitwesen“ oder: die ProtagonistInnen 20
- 1 Auto/Biographieforschung – KünstlerInnenforschung 33
- 2 KünstlerInnen über sich 79
- 2.1 Alfred Kubin – ein autobiographical life 80
- 2.2 Oskar Kokoschka – der biographische „Jongleur“ 105
- 2.3 Aloys Wach – Selbstbespiegelungen eines Suchenden 136
- 2.4 Erika Giovanna Klien – Autobiographische Fragmente 150
- 2.5 Margret Bilger – Autobiographisches wider Willen 164
- 2.6 Erstes Resümee oder: Wie KünstlerInnen über sich schreiben und dabei „biographische Formeln“ verwenden 175
- 3 KünstlerInnen und gesellschaftliche Diskurse 179
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 3.1.1 Alfred Kubin und die Misogynie der Moderne 185
- 3.1.2 „Mörder, Hoffnung der Frauen“: Oskar Kokoschka und die (modernen) Amazonen 206
- 3.1.3 Erika Giovanna Klien – schwierige Emanzipationswege einer „neuen“ Frau 214
- 3.1.4 Zerrissenheit und Identitätssuche – Geschlechterbilder bei Margret Bilger 220
- 3.2 Geschwindigkeit – Fortschrittseuphorie versus Kulturpessimismus 232
- 3.2.1 Alfred Kubins Traumstadt „Perle“ als Versuchsstation der Fortschrittsverweigerung 236
- 3.2.2 „Im Riesengefängnis New York“: Erika Giovanna Klien und ihr Verhältnis zu Stadt, Geschwindigkeit und Technik 245
- 3.2.3 Der Rückzug aufs Land: Alfred Kubin und Margret Bilger 256
- 3.2.4 „Haste nicht und raste nie. Sonst hastet die Neurasthenie“: ein Exkurs zum Nervendiskurs 264
- 3.3 Esoterik – Spirituelle Sinnsuche im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert 271
- 3.4. Zweites Resümee oder: Welche Diskurse der Moderne die KünstlerInnen bewegten 308
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 4 KünstlerInnen und Politik – Von der Monarchie bis zum Nationalsozialismus 313
- 4.1 Die Legende vom unpolitischen Künstler – Zum Verständnis von Kunst und Politik bis 1945 315
- 4.2 Erster Weltkrieg und das Ende der k. u. k. Monarchie 319
- 4.3 Zwischen den Kriegen: Revolution(en), Republik(en), „Ständestaat“ 349
- 4.3.1 Der „Kunstlump“ – Oskar Kokoschka und die (deutsche) Revolution 353
- 4.3.2 Aloys Wach und die Münchner Räterepublik 360
- 4.3.3 Aus der Distanz: Erika Giovanna Klien und die österreichische Zwischenkriegszeit 368
- 4.3.4 „Weil ich nicht in der Vaterlandspartei bin“: Positionen zum „Ständestaat“ bei Oskar Kokoschka und Alfred Kubin 373
- 4.4 Nationalsozialismus 382
- 4.4.1 „… diese stummen Geister der Auflehnung“: Alfred Kubin und der Nationalsozialismus 385
- 4.4.2 Oskar Kokoschka: Selbstbildnis eines „entarteten“ Künstlers 397
- 4.4.3 „22° Waage“: Aloys Wach und der Nationalsozialismus 404
- 4.4.4 „… hätte ich aber die conträren Gesinnungen“: Margret Bilger und der Nationalsozialismus 409
- 4.5 Drittes Resümee oder: Wie politisch waren die „unpolitischen“ KünstlerInnen? 422
- Dank 426
- Abkürzungsverzeichnis 428
- Tabellen- und Abbildungsverzeichnis 429
- Quellen- und Literaturverzeichnis 431
- Archive und Sammlungen 431
- Zeitungen/Zeitschriften/Jahrbücher 432
- Literatur und gedruckte Quellen 432
- Personenregister 463