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4.2 Erster Weltkrieg und das Ende der k. u. k. Monarchie | 333
finanzielle Absicherung gegeben war, nicht nur um das notwendige Geld für seine
eigene Ausstattung zu erhalten, sondern vor allem auch zur Versorgung seiner El-
tern und Geschwister.
Die Meldung als „Freiwilliger“, in der Kokoschka-Literatur zum meist wenig
hinterfragten heroischen Mythos geworden, basierte somit auf einem Bündel von
Motiven: der Einsicht, ohnehin einberufen zu werden und sich als „Einjährig-Frei-
williger“ zumindest noch einen besseren Status zu sichern, weiters einer Loyalität
gegenüber anderen Kriegsverpflichteten, vor allem jenen aus sozial schwächeren
Schichten, und last but not least spielte natürlich auch jenes Motiv eine Rolle, das in
der Kokoschka-Biographik die stärkste und oft alleinige Aufmerksamkeit fand: die
unglücklich verlaufende Liebesbeziehung zu Alma Mahler. In seiner autobiographi-
schen Darstellung verwies Kokoschka selbst auf diesen Hintergrund und beschrieb
sein Schicksal dabei als ein kollektives:
„Mir war es also ähnlich ergangen wie vielen wehrpflichtigen Männern, die entweder das
richtige Mädchen nicht gefunden hatten oder des Alltags überdrüssig geworden waren,
die in einer umstürzenden Veränderung der Umwelt, wie es ein Krieg bedeutet, versuch-
ten, ein neues Verhältnis zum Leben zu gewinnen – sei es zum Besseren oder auch zum
Schlechteren.“67
Im Jänner 1915 trat Kokoschka seine Ausbildung als Kavallerist des Dragonerregi-
ments Nr.
15 in der Kaserne Wiener Neustadt an. Diese Position war nur über hohe
Kosten zu erreichen gewesen: Dragonerregimentsangehörige mussten ein eigenes
Pferd mitbringen und eine teure Ausstattung finanzieren. Symbolträchtig hatte Ko-
koschka dafür das Bild seiner Liebe zu Alma Mahler, „Die Windsbraut“, verkauft.68
Die Wirkung der Uniform und noblen Ausstattung ging an Kokoschka nicht vor-
über, in der Autobiographie heißt es rückblickend „Wie stolz war ich, beritten zu
sein.“69 Adolf Loos ließ eine Postkarte von Kokoschka in Uniform anfertigen, die
einige Verbreitung fand. Kokoschka selbst scheint nicht sicher gewesen zu sein, ob
ihm diese Form von „Werbung“ positiv zuträglich sein würde, in einem – leider un-
datierten – Brief an seinen Freund Albert Ehrenstein schrieb er:
„Erst heute Gelegenheit zu schreiben, weil die Prüfungen vorüber sind. Ich glaube da-
zugekommen zu sein! Die große Frage ist, ob ich Corporal geworden bin. […] Loos hat
67 Kokoschka, Mein Leben, 139.
68 Vgl. OK an Otto Winter, [Wien] 18.12.1914, zit. nach Oskar Kokoschka, Briefe I, 186.
69 Kokoschka, Mein Leben, 144.
Open-Access-Publikation im Sinne der Lizenz CC BY 4.0
Zeitwesen
Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Titel
- Zeitwesen
- Untertitel
- Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Autor
- Birgit Kirchmayr
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23310-7
- Abmessungen
- 17.3 x 24.5 cm
- Seiten
- 468
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 11
- Fragestellung und Ausgangsthesen 11
- Theoretische Bezugsrahmen 14
- Quellen 17
- „Zeitwesen“ oder: die ProtagonistInnen 20
- 1 Auto/Biographieforschung – KünstlerInnenforschung 33
- 2 KünstlerInnen über sich 79
- 2.1 Alfred Kubin – ein autobiographical life 80
- 2.2 Oskar Kokoschka – der biographische „Jongleur“ 105
- 2.3 Aloys Wach – Selbstbespiegelungen eines Suchenden 136
- 2.4 Erika Giovanna Klien – Autobiographische Fragmente 150
- 2.5 Margret Bilger – Autobiographisches wider Willen 164
- 2.6 Erstes Resümee oder: Wie KünstlerInnen über sich schreiben und dabei „biographische Formeln“ verwenden 175
- 3 KünstlerInnen und gesellschaftliche Diskurse 179
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 3.1.1 Alfred Kubin und die Misogynie der Moderne 185
- 3.1.2 „Mörder, Hoffnung der Frauen“: Oskar Kokoschka und die (modernen) Amazonen 206
- 3.1.3 Erika Giovanna Klien – schwierige Emanzipationswege einer „neuen“ Frau 214
- 3.1.4 Zerrissenheit und Identitätssuche – Geschlechterbilder bei Margret Bilger 220
- 3.2 Geschwindigkeit – Fortschrittseuphorie versus Kulturpessimismus 232
- 3.2.1 Alfred Kubins Traumstadt „Perle“ als Versuchsstation der Fortschrittsverweigerung 236
- 3.2.2 „Im Riesengefängnis New York“: Erika Giovanna Klien und ihr Verhältnis zu Stadt, Geschwindigkeit und Technik 245
- 3.2.3 Der Rückzug aufs Land: Alfred Kubin und Margret Bilger 256
- 3.2.4 „Haste nicht und raste nie. Sonst hastet die Neurasthenie“: ein Exkurs zum Nervendiskurs 264
- 3.3 Esoterik – Spirituelle Sinnsuche im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert 271
- 3.4. Zweites Resümee oder: Welche Diskurse der Moderne die KünstlerInnen bewegten 308
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 4 KünstlerInnen und Politik – Von der Monarchie bis zum Nationalsozialismus 313
- 4.1 Die Legende vom unpolitischen Künstler – Zum Verständnis von Kunst und Politik bis 1945 315
- 4.2 Erster Weltkrieg und das Ende der k. u. k. Monarchie 319
- 4.3 Zwischen den Kriegen: Revolution(en), Republik(en), „Ständestaat“ 349
- 4.3.1 Der „Kunstlump“ – Oskar Kokoschka und die (deutsche) Revolution 353
- 4.3.2 Aloys Wach und die Münchner Räterepublik 360
- 4.3.3 Aus der Distanz: Erika Giovanna Klien und die österreichische Zwischenkriegszeit 368
- 4.3.4 „Weil ich nicht in der Vaterlandspartei bin“: Positionen zum „Ständestaat“ bei Oskar Kokoschka und Alfred Kubin 373
- 4.4 Nationalsozialismus 382
- 4.4.1 „… diese stummen Geister der Auflehnung“: Alfred Kubin und der Nationalsozialismus 385
- 4.4.2 Oskar Kokoschka: Selbstbildnis eines „entarteten“ Künstlers 397
- 4.4.3 „22° Waage“: Aloys Wach und der Nationalsozialismus 404
- 4.4.4 „… hätte ich aber die conträren Gesinnungen“: Margret Bilger und der Nationalsozialismus 409
- 4.5 Drittes Resümee oder: Wie politisch waren die „unpolitischen“ KünstlerInnen? 422
- Dank 426
- Abkürzungsverzeichnis 428
- Tabellen- und Abbildungsverzeichnis 429
- Quellen- und Literaturverzeichnis 431
- Archive und Sammlungen 431
- Zeitungen/Zeitschriften/Jahrbücher 432
- Literatur und gedruckte Quellen 432
- Personenregister 463