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Zeitwesen - Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
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4.3 Zwischen den Kriegen: Revolution(en), Republik(en), „Ständestaat“ | 357 Entgegen dieser Aussage wurde er sehr wohl in die „unerquickliche[n] Dinge gezerrt“, denn auf seinen Aufruf an die Dresdner Einwohnerschaft reagierten die Künstler George Grosz „und seine Gruppe“ mit einem Schmähartikel gegen ihn. Der Text, von Kokoschka in der Autobiographie nicht ganz korrekt als „Die Kuns- thure Oskar Kokoschka“ bezeichnet,155 trug den Titel „Der Kunstlump“. Er war von George Grosz und John Heartfield verfasst und in Heartfields politischer Zeitschrift „Der Gegner“ im Frühjahr 1920 veröffentlicht worden.156 Die durch diesen Artikel entfachte „Kunstlump-Debatte“ ist insofern interessant, als sie sehr grundsätzlich die Funktion der Kunst und die politische Verantwortung des Künstlers thematisiert. Grosz und Heartfield, den Kokoschka in seiner Auto- biographie als Mitautor des Artikels interessanterweise nicht erwähnte,157 ließen Kokoschka in ihrer Attacke zur Symbolfigur eines bürgerlichen Kunstverständnis- ses werden. Dieses verstecke sich snobistisch hinter scheinbar idealen und zeitlosen Werten von Kunst und Kultur und begegne den politisch-alltäglichen Problemen der Arbeiterschaft mit Ignoranz: „Kokoschkas Äußerungen sind ein typischer Aus- druck der Gesinnung des gesamten Bürgertums. Das Bürgertum stellt seine Kul- tur und seine Kunst höher als das Leben der Arbeiterklasse.“158 Kokoschka wurde vorgeworfen, in seinem Aufruf an die Einwohnerschaft von Dresden die Zerstö- rung eines Bildes beklagt zu haben, während gleichzeitig viele Menschen ihr Leben verloren. Im Gegensatz dazu formulierten Grosz und Heartfield polemisch: „Wir begrüßen mit Freude, daß die Kugeln in Galerien und Paläste, in die Meisterbilder der Rubens sausen, statt in die Häuser der Armen in den Arbeitervierteln!“ Die be- stehende Vorstellung von Kunst und Künstlertum sei zutiefst bourgeois und immer auf der Seite der Herrschenden: 155 Kokoschka, Mein Leben, 175. 156 John Heartfield/George Grosz, Der Kunstlump (1920), hier zit. nach John Heartfield (Hg.), Der Schnitt entlang der Zeit. Selbstzeugnisse. Erinnerungen. Interpretationen. Hg. von Roland März, 104–112. 157 John Heartfield (1891–1968), ursprünglich Helmut Herzfeld, deutscher Maler, Graphiker, Foto- monteur und Protagonist der Dada-Bewegung. Möglicherweise war in Kokoschkas Erinnerung die „Kunstlump-Episode“ tatsächlich nur mehr auf Grosz fokussiert, vielleicht liegt die Nichterwäh- nung aber auch daran, dass Heartfield und Kokoschka sowohl im Prager wie auch im Londoner Exil positive Begegnungen miteinander hatten. So war Heartfield Mitglied im Prager Exilverein des „Oskar-Kokoschka-Bundes“, beide erhielten eine Ehrung des tschechischen Kunstvereins Mánes, in London trafen sie einander über den „Kulturbund“. Vgl. dazu u.a. Heartfield (Hg.), 331  ff sowie Gloria Sultano, „Artist in Exile“ – Streiflichter aus dem Exil, in: Gloria Sultano/Patrick Werkner (Hg.), Oskar Kokoschka. Kunst und Politik 1937–1950, Wien 2003, 119–158, 137 u. 147. 158 Heartfield/Grosz, Kunstlump, 111. Open-Access-Publikation im Sinne der Lizenz CC BY 4.0
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Zeitwesen Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
Titel
Zeitwesen
Untertitel
Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
Autor
Birgit Kirchmayr
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2020
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY 4.0
ISBN
978-3-205-23310-7
Abmessungen
17.3 x 24.5 cm
Seiten
468
Kategorie
Kunst und Kultur

Inhaltsverzeichnis

  1. Einleitung 11
  2. Fragestellung und Ausgangsthesen 11
  3. Theoretische Bezugsrahmen 14
  4. Quellen 17
  5. „Zeitwesen“ oder: die ProtagonistInnen 20
  6. 1 Auto/Biographieforschung – KünstlerInnenforschung 33
    1. 1.1 Auto/Biographieforschung 33
      1. 1.1.1 Lebenslauf, Biographie, Autobiographie oder Auto/Biographie? 34
      2. 1.1.2 Auto/Biographie und Geschichtswissenschaft 39
      3. 1.1.3 Auto/Biographie und Geschlecht 47
    2. 1.2 Künstlerauto/biographie 51
      1. 1.2.1 Von Vasaris Viten bis „Inventing Leonardo“: Zur Geschichte der Künstlerbiographik 51
      2. 1.2.2 „Biographische Formeln“: Die „Legende vom Künstler“ 54
      3. 1.2.3 Geniekonzept und Autobiographical Life 59
    3. 1.3 Auto/Biographische Quellen 63
      1. 1.3.1 Autobiographie 65
      2. 1.3.2 Brief 66
      3. 1.3.3 Tagebuch 72
  7. 2 KünstlerInnen über sich 79
    1. 2.1 Alfred Kubin – ein autobiographical life 80
      1. 2.1.1 Der Künstler, sein Archivar und sein Nachlass 80
      2. 2.1.2 Die Autobiographie „Aus meinem Leben“ (1911–1952) 83
    2. 2.2 Oskar Kokoschka – der biographische „Jongleur“ 105
      1. 2.2.1 Der Künstler als Erzähler 105
      2. 2.2.2 Die Autobiographie „Mein Leben“ (1971) 109
    3. 2.3 Aloys Wach – Selbstbespiegelungen eines Suchenden 136
      1. 2.3.1 Autobiographisches in Tagebüchern und Briefen 136
      2. 2.3.2 „Biographische Notizen“ (1929) 138
    4. 2.4 Erika Giovanna Klien – Autobiographische Fragmente 150
      1. 2.4.1 Erklärungen zu einem Negativbefund 150
      2. 2.4.2 Die „Klessheimer Sendboten“ (1927) 154
    5. 2.5 Margret Bilger – Autobiographisches wider Willen 164
      1. 2.5.1 Versuch einer Verweigerung 164
      2. 2.5.2 Der „Lebensbericht“ (1968) 166
    6. 2.6 Erstes Resümee oder: Wie KünstlerInnen über sich schreiben und dabei „biographische Formeln“ verwenden 175
  8. 3 KünstlerInnen und gesellschaftliche Diskurse 179
    1. 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
      1. 3.1.1 Alfred Kubin und die Misogynie der Moderne 185
      2. 3.1.2 „Mörder, Hoffnung der Frauen“: Oskar Kokoschka und die (modernen) Amazonen 206
      3. 3.1.3 Erika Giovanna Klien – schwierige Emanzipationswege einer „neuen“ Frau 214
      4. 3.1.4 Zerrissenheit und Identitätssuche – Geschlechterbilder bei Margret Bilger 220
    2. 3.2 Geschwindigkeit – Fortschrittseuphorie versus Kulturpessimismus 232
      1. 3.2.1 Alfred Kubins Traumstadt „Perle“ als Versuchsstation der Fortschrittsverweigerung 236
      2. 3.2.2 „Im Riesengefängnis New York“: Erika Giovanna Klien und ihr Verhältnis zu Stadt, Geschwindigkeit und Technik 245
      3. 3.2.3 Der Rückzug aufs Land: Alfred Kubin und Margret Bilger 256
      4. 3.2.4 „Haste nicht und raste nie. Sonst hastet die Neurasthenie“: ein Exkurs zum Nervendiskurs 264
    3. 3.3 Esoterik – Spirituelle Sinnsuche im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert 271
      1. 3.3.1 Alfred Kubin: Von der Ariosophie zum Buddhismus 277
      2. 3.3.2 Aloys Wach, die Kabbala und Jesus Christus als „Okkultist“ . . . . . . . 284 Exkurs: Die „Affäre Schappeller“ 291
    4. 3.4. Zweites Resümee oder: Welche Diskurse der Moderne die KünstlerInnen bewegten 308
  9. 4 KünstlerInnen und Politik – Von der Monarchie bis zum Nationalsozialismus 313
    1. 4.1 Die Legende vom unpolitischen Künstler – Zum Verständnis von Kunst und Politik bis 1945 315
    2. 4.2 Erster Weltkrieg und das Ende der k. u. k. Monarchie 319
      1. 4.2.1 Kubin, der Krieg und das Ende der „alten Ruhe“ 321
      2. 4.2.2 „Ich bin so froh, dass ich noch lebe“: Oskar Kokoschka und der Erste Weltkrieg 328
    3. 4.3 Zwischen den Kriegen: Revolution(en), Republik(en), „Ständestaat“ 349
      1. 4.3.1 Der „Kunstlump“ – Oskar Kokoschka und die (deutsche) Revolution 353
      2. 4.3.2 Aloys Wach und die Münchner Räterepublik 360
      3. 4.3.3 Aus der Distanz: Erika Giovanna Klien und die österreichische Zwischenkriegszeit 368
      4. 4.3.4 „Weil ich nicht in der Vaterlandspartei bin“: Positionen zum „Ständestaat“ bei Oskar Kokoschka und Alfred Kubin 373
    4. 4.4 Nationalsozialismus 382
      1. 4.4.1 „… diese stummen Geister der Auflehnung“: Alfred Kubin und der Nationalsozialismus 385
      2. 4.4.2 Oskar Kokoschka: Selbstbildnis eines „entarteten“ Künstlers 397
      3. 4.4.3 „22° Waage“: Aloys Wach und der Nationalsozialismus 404
      4. 4.4.4 „… hätte ich aber die conträren Gesinnungen“: Margret Bilger und der Nationalsozialismus 409
    5. 4.5 Drittes Resümee oder: Wie politisch waren die „unpolitischen“ KünstlerInnen? 422
  10. Dank 426
  11. Abkürzungsverzeichnis 428
  12. Tabellen- und Abbildungsverzeichnis 429
  13. Quellen- und Literaturverzeichnis 431
  14. Archive und Sammlungen 431
  15. Zeitungen/Zeitschriften/Jahrbücher 432
  16. Literatur und gedruckte Quellen 432
  17. Personenregister 463
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