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4.4 Nationalsozialismus | 421
nau“ brachte Graphiken von Margret Bilger, Vilma Eckl und Margarete Pausinger.335
An ihre Schwester berichtete Bilger darüber:
„In Linz soll die Ausstellung von mir im Landesmuseum gut sein, man nahm auch den
‚Verlorenen Sohn‘, ‚David vor Saul‘, ‚Mutter Mutter, es hungert mich‘ u. alles u. soll Gutes
in den Zeitungen stehn. – Dies ist ein Bürstenabzug zur Zeitschrift ‚Der goldene Bogen‘336
auch die 2te Nr. soll von mir illustriert werden. Bin so erstaunt dass der Kulturbeauftragte
[Anm.: Justus Schmidt] so Vertrauen zu mir gewann.“337
Für Bilger waren damit ausgerechnet jene Jahre, in denen der Kunst massive Zwänge
auferlegt waren, diejenigen, in denen sie als Künstlerin erstmals reüssieren konnte.
Wie sich zeigen sollte, gelang ihr der noch größere Durchbruch aber erst in den
Nachkriegsjahrzehnten.
Ihre Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus gewann schließlich in den
Nachkriegsjahren durch die Bekanntschaft und schließlich Ehe mit dem Künstler
Hans Breustedt, dessen erste Ehefrau als polnische Jüdin der nationalsozialistischen
Vernichtungspolitik zum Opfer gefallen war, eine zusätzliche Dimension.338 In den
unmittelbaren Nachkriegsjahren scheint Bilgers Energie mehr dem unmittelbaren
wirtschaftlichen Überleben und weniger dem politischen Rückblick oder der Aufar-
beitung gehört zu haben.339
Ihre Distanz zur Politik war jedenfalls geblieben. Ihrer kommunistischen Freun-
din Elisabeth Karlinsky schrieb sie 1950:
335 Vgl. Kulturnachrichten des Gauleiters und Reichsstatthalters in Oberdonau, Nr. 14, 6.4.1944; Nr.
17, 28.4.1944.
336 „Der Goldene Bogen“, ebenfalls von Justus Schmidt herausgegeben, erschien ursprünglich als Bei-
lage zur Zeitschrift „Oberdonau. Querschnitt durch Kultur und Schaffen im Heimatgau des Füh-
rers“ und wurde nach deren Einstellung 1943 selbständig weiter herausgegeben. Alfred Kubin war
mit Illustrationen ebenfalls mehrmals darin vertreten.
337 Bilger Archiv, MB an Irmtraut Blum [Bilger], [Mai 1944].
338 Zur Geschichte von Hans Joachim und Sofia Breustedt, die 1942 in Treblinka ermordet worden
war, vgl. Sofia Breustedt/Hans Joachim Breustedt, An Marysia. Eine Familiengeschichte in Briefen.
1935–1950. Hg. von Helga Hofer, Salzburg 2015.
339 Aufschlussreich für diese Zeit ist der unveröffentlichte Briefwechsel der Künstlerin mit Gregor
Sebba, einem Freund aus der Wiener Studienzeit, der als Jude 1938 Österreich verlassen musste
und nach New York emigrierte. Bilgers Briefe an ihn aus den Nachkriegsjahren sind geprägt von
Beschreibungen der wirtschaftlichen Probleme in Österreich, Sebba schickte auch immer wieder
Hilfspakete, auch mit Materialien für die künstlerische Arbeit. Wenig bis gar nicht ging es in den
Briefen um Sebbas persönliches Schicksal der Emigration oder um politische Fragen. Vgl. Bilger-
Archiv, Gretel Bilger und Gregor Sebba, eine Freundschaft – in Briefen. Unveröff. Transkript zu-
sammengestellt von Melchior Frommel.
Open-Access-Publikation im Sinne der Lizenz CC BY 4.0
Zeitwesen
Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Titel
- Zeitwesen
- Untertitel
- Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Autor
- Birgit Kirchmayr
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23310-7
- Abmessungen
- 17.3 x 24.5 cm
- Seiten
- 468
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 11
- Fragestellung und Ausgangsthesen 11
- Theoretische Bezugsrahmen 14
- Quellen 17
- „Zeitwesen“ oder: die ProtagonistInnen 20
- 1 Auto/Biographieforschung – KünstlerInnenforschung 33
- 2 KünstlerInnen über sich 79
- 2.1 Alfred Kubin – ein autobiographical life 80
- 2.2 Oskar Kokoschka – der biographische „Jongleur“ 105
- 2.3 Aloys Wach – Selbstbespiegelungen eines Suchenden 136
- 2.4 Erika Giovanna Klien – Autobiographische Fragmente 150
- 2.5 Margret Bilger – Autobiographisches wider Willen 164
- 2.6 Erstes Resümee oder: Wie KünstlerInnen über sich schreiben und dabei „biographische Formeln“ verwenden 175
- 3 KünstlerInnen und gesellschaftliche Diskurse 179
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 3.1.1 Alfred Kubin und die Misogynie der Moderne 185
- 3.1.2 „Mörder, Hoffnung der Frauen“: Oskar Kokoschka und die (modernen) Amazonen 206
- 3.1.3 Erika Giovanna Klien – schwierige Emanzipationswege einer „neuen“ Frau 214
- 3.1.4 Zerrissenheit und Identitätssuche – Geschlechterbilder bei Margret Bilger 220
- 3.2 Geschwindigkeit – Fortschrittseuphorie versus Kulturpessimismus 232
- 3.2.1 Alfred Kubins Traumstadt „Perle“ als Versuchsstation der Fortschrittsverweigerung 236
- 3.2.2 „Im Riesengefängnis New York“: Erika Giovanna Klien und ihr Verhältnis zu Stadt, Geschwindigkeit und Technik 245
- 3.2.3 Der Rückzug aufs Land: Alfred Kubin und Margret Bilger 256
- 3.2.4 „Haste nicht und raste nie. Sonst hastet die Neurasthenie“: ein Exkurs zum Nervendiskurs 264
- 3.3 Esoterik – Spirituelle Sinnsuche im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert 271
- 3.4. Zweites Resümee oder: Welche Diskurse der Moderne die KünstlerInnen bewegten 308
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 4 KünstlerInnen und Politik – Von der Monarchie bis zum Nationalsozialismus 313
- 4.1 Die Legende vom unpolitischen Künstler – Zum Verständnis von Kunst und Politik bis 1945 315
- 4.2 Erster Weltkrieg und das Ende der k. u. k. Monarchie 319
- 4.3 Zwischen den Kriegen: Revolution(en), Republik(en), „Ständestaat“ 349
- 4.3.1 Der „Kunstlump“ – Oskar Kokoschka und die (deutsche) Revolution 353
- 4.3.2 Aloys Wach und die Münchner Räterepublik 360
- 4.3.3 Aus der Distanz: Erika Giovanna Klien und die österreichische Zwischenkriegszeit 368
- 4.3.4 „Weil ich nicht in der Vaterlandspartei bin“: Positionen zum „Ständestaat“ bei Oskar Kokoschka und Alfred Kubin 373
- 4.4 Nationalsozialismus 382
- 4.4.1 „… diese stummen Geister der Auflehnung“: Alfred Kubin und der Nationalsozialismus 385
- 4.4.2 Oskar Kokoschka: Selbstbildnis eines „entarteten“ Künstlers 397
- 4.4.3 „22° Waage“: Aloys Wach und der Nationalsozialismus 404
- 4.4.4 „… hätte ich aber die conträren Gesinnungen“: Margret Bilger und der Nationalsozialismus 409
- 4.5 Drittes Resümee oder: Wie politisch waren die „unpolitischen“ KünstlerInnen? 422
- Dank 426
- Abkürzungsverzeichnis 428
- Tabellen- und Abbildungsverzeichnis 429
- Quellen- und Literaturverzeichnis 431
- Archive und Sammlungen 431
- Zeitungen/Zeitschriften/Jahrbücher 432
- Literatur und gedruckte Quellen 432
- Personenregister 463