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I.5 Zentrale Begrifflichkeiten
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holistisch als Verknüpfung bestimmter Ideologeme80 , Einstellungsmuster , Zielsetzun-
gen , Organisationsmerkmale und politischer Stilformen. Bei aller Vielgestaltigkeit ,
in der diese Verknüpfung sich historisch und örtlich realisieren kann , bleibt ihr Kern
unverändert : die Behauptung , dass die Menschen ungleich seien – ungleich nicht als
Ausdruck ihrer Individualität , sondern ganz im Gegenteil in dem Sinne , dass indivi-
duelle Eigenschaften und erwartbare Verhaltensweisen sich aus der Zugehörigkeit des
Individuums zu ( kulturalistisch oder offen biologistisch ) bestimmten Kollektiven , ins-
besondere jenem der ‚Volksgemeinschaft‘ , ableiten ließen.81 Als zweites zentrales Be-
stimmungsmerkmal erachte ich die anthropologische Prämisse , wonach die Einord-
nung der Individuen in solch bergende Gemeinschaften und ihre Unterwerfung unter
Autoritäten , mithin ein Verhältnis von Führern und Geführten , notwendige Bedin-
gungen eines gedeihlichen menschlichen Zusammenlebens darstellten.82 Die grund-
legende soziale Funktion des Ungleichheitsdenkens besteht darin , die gesellschaftliche
Herstellung realer sozialer Ungleichheit durch Naturalisierung und/oder Kulturalisie-
rung zu verschleiern und damit zu legitimieren : Soziale Problemlagen und ( Interes-
sen-)Gegensätze werden als Ausdruck von ‚Rassen‘- oder , zeitgemäßer , ‚Kulturkon-
flikten‘ interpretiert ( Ethnisierung des Sozialen ).83 Dem/der Einzelnen erlaubt das
Ungleichheitspostulat darüber hinaus , sich eigene Überlegenheit und daraus abgelei-
tete Unersetzbarkeit zu halluzinieren , um so die ( nicht zuletzt psychischen ) Belastun-
gen der Konkurrenzökonomie leichter ertragen zu können. Die Naturalisierung von
Autorität und Hierarchie wiederum erleichtert dem Subjekt die täglichen eigenen An-
passungs- und Unterwerfungsleistungen.
Die eben beschriebenen Kerngehalte und Funktionen des Rechtsextremismus bedin-
gen bzw. begünstigen Antirationalismus und manichäisches Denken. Diese finden in
der Beschwörung irrationaler Zentralkategorien ( ‚Volk‘ , ‚Tradition‘ usw. ) ebenso Nie-
derschlag wie in einem
– in aller Regel antisemitisch grundierten
– Hang zu Verschwö-
rungstheorien , zur Personalisierung systemischer Prozesse ( ‚Sündenbockdenken‘ ), zu
dichotomen Freund-Feind-Schematisierungen und zur Projektion eigener Wünsche
80 Vgl. zum Begriff des Ideologems Projekt Ideologie-Theorie 1980a , 11 und 179. Als Beispiele von besonde-
rer Relevanz für das vorliegende Werk seien das ‚deutsche Volk‘ oder der ( virile , soldatische ) ‚Mann‘ ge-
nannt.
81 Schiedel ( 2007 , 24 ) zählt zudem das „bis zum Sozialdarwinismus“ gesteigerte Prinzip der Konkurrenz
zum „historischen Kern“ des Rechtsextremismus.
82 In diesem Punkt führe ich gleichsam zwei der Bestimmungselemente Holzers zusammen : „Volk und
Volksgemeinschaft“ sowie „Autoritarismus und Verfassung“ ( vgl. Holzer 1994 , 34–38 bzw. 48–52 ).
83 Vgl. ebd., 47 f., und Schiedel 2007 , 31–33. Solche Interpretationen setzen die Konstruktion entsprechender
Kollektive
– ‚Rassen‘ , ‚Völker‘ , ‚Ethnien‘ , ‚Kulturen‘
– voraus. Diese erfolgt im Wege der Umdeutung „zu-
nächst konstitutiv belanglose( r ) Momente ( … ) in konstitutiv relevante Eigenschaften“ ( Wolf- Dietrich
Bukow , zit. n. Schiedel 2007 , 173 ).
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Subtitle
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Author
- Bernhard Weidinger
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 634
- Keywords
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619