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II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde
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Die Innsbrucker Problematik lässt sich nur zum Teil über lokale Spezifika ( wie die ,
verglichen mit Wien und Graz , stärkere katholisch-konservative Grundierung des uni-
versitären Einzugsgebietes ) erklären. In Wien kam es in der Restaurationsphase zu einer
Art Strukturbereinigung , im Zuge derer eine ganze Reihe von Bünden sich zur Zusam-
menlegung mit anderen veranlasst sah.89 Manch andere Korporation konnte einen ge-
regelten Betrieb nur aufnehmen bzw. aufrechterhalten , indem Alte Herren sich wieder
‚aktiv‘ erklärten und Aufgaben übernahmen , die üblicherweise studierenden Mitglie-
dern überantwortet sind. In den Listen burschenschaftlicher Amtsträger der Reaktivie-
rungsphase ist daher eine regelrechte Ballung von Alten Herren feststellbar.90 Bald darauf
folgende erste Sistierungen91 unterstreichen zusätzlich das Missverhältnis von an den
Vorkriegsverhältnissen orientiertem Angebot und studentischer Nachkriegs-Nachfrage.
Trotz alledem kehrt zu Mitte der 1950er-Jahre bei den die Wirrungen der Anfangs-
phase überdauernden Verbindungen verbindungsstudentischer Alltag ein. Zum Ende
des Sommersemesters 1955 verfügen vierzehn akademische Burschenschaften in Wien ,
neun in Graz , drei in Innsbruck und zwei in Leoben über Aktivitates. Die Größe der-
selben variiert beträchtlich : umfasst sie in Leoben im Durchschnitt 14 Personen , sind es
in Innsbruck nur 5,7 ; Graz und Wien liegen mit acht bzw. 10,9 dazwischen.92 Lindin-
ger spricht rückblickend von der Phase zwischen Restauration und 1968 als den „fröhli-
chen Blütejahren der neuen Burschenherrlichkeit nach dem Krieg“.93 Auch Grillmayer
hält fest , dass anders als für die FPÖ „( f )ür freiheitliche Vorfeldorganisationen und
die traditionsgemäß dem Dritten Lager zuzuzählenden Vereinigungen ( … ) die Nach-
kriegsepoche bis in die Siebzigerjahre hinein eine vergleichsweise sehr gute Zeit“ ge-
wesen sei.94 Vor allem an den Hochschulen habe das ‚Dritte Lager‘ sich schnell wieder
eine „starke Präsenz“ erworben , da ein beträchtlicher Teil der Nachkriegs-Studenten-
schaft familiär im traditionellen ‚national-freiheitlichen‘ Bildungsbürgertum verankert
89 Allein unter den Wiener Burschenschaften kam es in der ersten Hälfte der 1950er-Jahre zu drei Fusio-
nen ( Arminia mit Libertas 1951 , Germania mit Gothia 1952 , Ostmark mit Alania 1955 ) und zu zwei Über-
nahmen von Altherrenschaften , die keine Perspektive auf eine eigene Aktivitas mehr sahen ( Marko-Ger-
mania durch Albia und Hubertus durch Alemannia , beide 1952 ).
90 Vgl. zur Reaktivierung Alter Herren beispielhaft die Aula Nr. 6 / 1953 [ März ], 21 oder Oberösterreicher
Germanen 1967 , 129. U. a. bekleidete ein Arthur Klohs , der im Nationalsozialismus als Richter politische
Strafsachen verhandelt hatte , nach dem Krieg in seiner Bruna Sudetia das Amt des Fuchsmajors , zu des-
sen Aufgaben die historische und weltanschauliche Schulung des Bundnachwuchses zählt ( vgl. Wladar
1984 , 28 und Schwarz 2005 , 4 ).
91 Allein im Studienjahr 1956/57 mussten drei Wiener Burschenschaften ( Aldania , Silvania , Vandalia ) den
Aktivbetrieb einstellen ( vgl. BAK , DB 9 , E. 4 [ A1 ], Bericht der ADC-Vorsitzenden Alania Wien über
das Geschäftsjahr 1956/57 , Anlage 2 zur Niederschrift des ADC-Tages 1957 , 3 ).
92 Vgl. BAK , DB 9 , E. 4 [ B1 ], Mappe über das Vorsitzjahr von Germania Innsbruck ( 1954/55 ), Stärkean-
gabe der im ADC zusammengeschlossenen Burschenschaften Österreichs.
93 Lindinger 2009 , 74.
94 Grillmayer 2006 , 98.
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Subtitle
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Author
- Bernhard Weidinger
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 634
- Keywords
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619