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II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung
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ler [ der kollektiven Schuldzuweisung , Anm. B. W. ] verfallen und sämtliche Juden für
diese Untaten verantwortlich machen“; die „Ritterlichkeit“ eines Yehudi Menuhin , der
„trotz der Entrüstung seiner Rassengenossen“ in Deutschland Konzerte gebe , wolle
man „gerne anerkennen“.196
Wenn auch nicht jeder Burschenschafter eine Verwicklung in die nationalsozialisti-
schen Verbrechen aufwies , die jener Berkas vergleichbar gewesen wäre , so war doch –
vgl. Kapitel II.1 – eine zumindest geistige Mittäterschaft und Vorbereitungsleistung
der Burschenschaften als Kollektiv unbestreitbar und die Bereitschaft , Thesen dieser
Art als plausibel anzunehmen , dementsprechend breit vorhanden. Vor diesem Hinter-
grund sind auch Versuche zu sehen , Verantwortung für die eigenen Entscheidungen
abzu wälzen : einerseits auf andere politische Kräfte , die den ‚Anschluß‘ befürwortet oder
ihrerseits antisemitische Tendenzen aufgewiesen hatten ( vgl. dazu den übernächsten
Absatz ), andererseits auf die Führungselite des NS-Staates ( der freilich auch Burschen-
schafter angehörten ). Wenn Berka von einer „von der nationalsozialistischen Führung
durchgeführte( n ) Massenvertilgung der Juden“ berichtet , erweckt er den Anschein , als
habe diese Führung sich nicht etwa auf ein Heer von Hunderttausenden MithelferIn-
nen auf den verschiedenen Ebenen der Repressionsorgane , der Wehrmacht , der Ver-
waltung und der Transportlogistik ebenso stützen können wie auf die ‚zivilen‘ Beiträge
von Ari seurInnen , WissenschafterInnen , PublizistInnen und anderen ( mit burschen-
schaftlicher Beteiligung in jeder dieser Kategorien ). Nichtsdestotrotz wertet Berka
das vorgebliche Elitenprojekt als „ein dunkles Blatt in der Geschichte des Volkes“.197
Während Berka somit ein Leugnen der Faktizität der Shoa fernliegt , gilt Gleiches
nicht für die ( Teil-)Legitimierung des Geschehenen im Wege seiner Rationalisierung
und/oder der Fortführung nationalsozialistischer Propaganda. Die Ehrabsprechung ge-
genüber Juden durch Burschenschafter sei falsch gewesen ; legitim sei jedoch , damals
wie auch heute , der Wunsch , „unsere Wirtschaft Politik [ sic ] und Kultur ( … ) nicht von
Fremdvölkischen beherrschen zu lassen“, zumal „deutsches und jüdisches Leben vonei-
nander grundverschieden“ seien. Dass nunmehr „das nationale Judentum den Sieg über
den Assimilationsgedanken davongetragen“ habe , unterstreiche diesen Umstand zu-
sätzlich.198 Der Zionismus als Reaktion auf die rassenantisemitisch motivierte Exklu-
196 Ebd., 11. Vgl. dazu auch die Aussagen des Wiener FPÖ-Gemeinderats Wolfgang Jung ( Akademische
Tafelrunde Wiking zu Wr. Neustadt ) im ORF-Club2 vom 25. 1. 2012 : Wie die Familie des ihm gegen-
übersitzenden Ariel Muzicant ( des damaligen Präsidenten der Wiener Israelitischen Kultusgemeinde/
IKG ) im Holocaust , so sei auch seine ( Jungs ) Familie zu Opfern von Verbrechen geworden – nämlich
der Vertreibung der ‚Volksdeutschen‘. Anders als Muzicant reagiere er , Jung , aber „nicht mit Hass“.
197 BAK , DB 9 , B. VI.15 [ A ], Berka 1951 , 10.
198 Ebd., 11. Sechs Jahre später erklärt Berka öffentlich , dass bei der Beurteilung des nationalsozialistischen
und burschenschaftlichen Antisemitismus „( d )ie Beherrschung des deutschen Kulturlebens durch Ju-
den“ nicht außer Acht gelassen werden dürfe ( Burschenschaftliche Blätter Nr. 1 / 1957 , 11 ).
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Subtitle
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Author
- Bernhard Weidinger
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 634
- Keywords
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619