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II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung
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aber „keine schwärenden Wunden“ hinterlassen.357 Vergleicht man die von Tulzer zi-
tierten Stellungnahmen zum Nationalsozialismus und die Positionierungen und Dar-
stellungsweise des Chronisten selbst mit der gänzlich kritikfreien Feldpost-Dokumen-
tation der Vorgängerchronik von 1967 , so wird doch eine gewisse Verschiebung hin zu
einer differenzierteren Perspektive auf die Jahre 1938 bis 1945 erkennbar. Dafür spricht
auch , dass Pasteiners Position , wenn auch kritisiert , so doch offenkundig toleriert wurde ,
wie auch der Umstand zeigt , dass Pasteiner im Sommersemester 1985 einen Burschen-
schaftlichen Abend zum Zweiten Weltkrieg abhalten konnte ( an den sich eine Dis-
kussion um die ‚Kriegsschuldfrage‘ anschloss ).358
Gegen die Annahme einer relevanten Verschiebung spricht allerdings ein ebenfalls
1985 in den ‚Bundesblättern‘ erschienener Artikel von Hartmut Rochowanski.359 In sei-
ner Begründung , weshalb das 40-jährige Jubiläum des Kriegsendes „kein Grund zum
Feiern“ sei , führt dieser u. a. aus , dass „ein verlorener Krieg an sich kein Grund zum
Feiern sein kann“
– schon gar nicht „die größte Niederlage in der Geschichte des deut-
schen Volkes“. Auch habe „das Kriegsziel der Alliierten“ nicht nur in der Niederringung
des Nationalsozialismus , sondern vielmehr in der „Vernichtung Deutschlands“ bestan-
den und würde weiterhin in nicht-militärischer Form – „Teilung , Umerziehung , Ent-
nationalisierung , usw.“ – weiterverfolgt.360 Nicht nur seien die Alliierten mitschuldig
am Ausbruch des Krieges – sie trügen auch die Schuld an seiner unnötigen Verlänge-
rung. Ein angemessenes Gedenken an 1945 müsse „zu einer Anklage gegen die Macht-
haber seit 1945 werden , die aus dieser Katastrophe nichts gelernt“ hätten.361 Von einer
Anklage gegen den Nationalsozialismus und Lerneffekten auf eigener Seite ist Rocho-
wanski mit diesen Ausführungen denkbar weit entfernt.
Der Umstand , dass diese Ausführungen nicht einem neonazistischen Argumenta-
rium entstammen , sondern dem internen Mitteilungsblatt einer ( als ‚ moderat‘ gelten-
den ) Burschenschaft , stellt nachdrücklich infrage , ob Pasteiners kritische Intervention
von 1983 das Erinnern und die Bewertungen des Nationalsozialismus zumindest im ei-
genen Bund beeinflussen konnte ; dies umso mehr , als Rochowanskis Thesen in einer
1994 erschienenen Chronik dieses Bundes ausführlich wiedergegeben werden , ohne ih-
357 Ebd., 120.
358 Vgl. ebd., 128.
359 Vgl. ebd., 128–131.
360 Zit. ebd., 129 f. Rochowanskis Gleichsetzung der Niederlage des NS-Staats mit einer Niederlage des
‚deutschen Volkes‘ bzw. die darin enthaltene Anerkennung des Ersteren als legitimen Repräsentanten
des Letzteren ist für burschenschaftliche Stellungnahmen aus Österreich nicht untypisch. Sie steht al-
lerdings in deutlichem Kontrast zu einer unter bundesdeutschen Burschenschaftern gängigen Argu-
mentation in Tradition der Attentäter vom 20. Juli 1944 , wonach das Regime jedenfalls in der Endphase
des Krieges gerade nicht die Interessen des deutschen Volkes wahrgenommen , sondern ihnen vielmehr
zuwidergehandelt habe.
361 Zit. ebd., 130 f.
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Subtitle
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Author
- Bernhard Weidinger
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 634
- Keywords
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619