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II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung
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dafür oft schwer gelitten haben , sich selbst aufgäben , wollten sie sich von dieser Ver-
gangenheit distanzieren“.378
Vor dem Hintergrund der hier konstatierten Reflexionsabwehr im Angesicht je-
ner gigantischen Kränkung , die der Kriegsausgang und seine Folgen den nazifizierten
Burschenschaftern bereiteten , ist an Theodor W. Adornos Analyse der Folgen derart
unbewältigter Vergangenheit zu erinnern. Was Adorno für die zur Volksgemeinschaft
formierten Deutschen insgesamt ausführte , kann auch für die Burschenschaften in
Öster reich Aufschlüsse erbringen :
Nach der subjektiven Seite , in der Psyche der Menschen , steigerte der Nationalsozialismus
den kollektiven Narzißmus , schlicht gesagt : die nationale Eitelkeit ins Ungemessene. Die
narzißtischen Triebregungen der Einzelnen , denen die verhärtete Welt immer weniger
Befriedigung verspricht und die doch ungemindert fortbestehen , solange die Zivilisation
ihnen sonst so viel versagt , finden Ersatzbefriedigung in der Identifikation mit dem Gan-
zen. Dieser kollektive Narzißmus ist durch den Zusammenbruch des Hitlerregimes aufs
schwerste geschädigt worden. Seine Schädigung ereignete sich im Bereich der bloßen Tat-
sächlichkeit , ohne daß die Einzelnen sie sich bewußt gemacht hätten und dadurch mit ihr
fertig geworden wären. Das ist der sozialpsychologisch zutreffende Sinn der Rede von der
unbewältigten Vergangenheit.379
Nach Freuds Theorie müsse „dort ( … ), wo kollektive Identifikationen zerbrechen“, sich
„Panik“ einstellen. Dass diese im gegenständlichen Fall ausgeblieben sei , verweise da-
rauf ,
daß insgeheim , unbewußt schwelend und darum besonders mächtig , jene Identifikationen
und der kollektive Narzißmus gar nicht zerstört wurden , sondern fortbestehen. Die Nieder-
lage hat man innerlich so wenig ganz ratifiziert wie nach 1918. ( … ) Sozialpsychologisch wäre
daran die Erwartung anzuschließen , daß der beschädigte kollektive Narzißmus darauf lauert ,
repariert zu werden , und nach allem greife , was zunächst im Bewußtsein die Vergangenheit in
Übereinstimmung mit den narzißtischen Wünschen bringt , dann aber womöglich auch noch
die Realität so modelt , daß jene Schädigung ungeschehen gemacht wird.380
In Erwägung des in diesem Kapitel , aber auch an anderen Stellen dieses Buches Aus-
geführten ließe zumindest die Behauptung einer ‚innerlichen Nicht-Ratifizierung‘ des
Kriegsausgangs sich mit einiger Berechtigung jedenfalls auf Teile des Burschenschafts-
378 Germanenmitteilungen , März 1967 , 8.
379 Adorno 2003a , 563.
380 Ebd., 564.
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Subtitle
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Author
- Bernhard Weidinger
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 634
- Keywords
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619