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III.3 Burschenschaftliche Erziehung
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offiziell“ zu erklären und sich von ihm den Weg durch die zweite Hälfte des 20. Jahr-
hunderts weisen zu lassen.171
In Summe lässt sich festhalten , dass der aktiv und intentional gestaltete Teil bur-
schenschaftlicher Sozialisation ( auch ) nach 1945 begrifflich als Erziehung angemessen
zu fassen ist und auf ein ganzheitliches bis totalitäres Idealbild des burschenschaft-
lichen Mannes ausgerichtet war. Die Autonomie , die dem Individuum dabei zugestan-
den wurde , war unterschiedlich stark ausgeprägt. In der Regel blieben Bekenntnisse zur
Selbständigkeit des Einzelnen jedoch auf die Schulung der Fähigkeit beschränkt , ein
gegebenes Phänomen ideologisch korrekt entlang der Koordinaten ‚nationaler Welt-
anschauung‘ einzuordnen.
Erziehung als ( lebenslanger ) Zugriff auf das Individuum
Wie bereits ausgeführt wurde , beanspruchen Burschenschaften , ihre Mitglieder in um-
fassender Weise – körperlich , geistig und moralisch – zu formen. Dabei kommt der
Aktiv zeit , also den ersten Jahren der Mitgliedschaft bis zur Inaktivierung ( im Sinne
des Studienabschlusses ), zentrale Bedeutung zu , da hier die elementare Bindung an den
Bund vollzogen wird und der Zugriff auf das Individuum am umfassendsten ist. Durch
tägliche Beschäftigung ( in Form von Fechttraining , Fuchsenkränzchen , Burschenschaft-
lichen Abenden , Conventen , Arbeitsdiensten usw. ) werden eine intensive Einwirkung
und gleichzeitig eine tendenzielle Isolierung von anderen sozialen Umfeldern erreicht ,
was dem Ziel einer möglichst nachhaltigen Prägung entgegenkommt. Die entscheidende
Bedeutung eines entsprechend unbeschränkten Zugriffs auf den Einzelnen bringt ein
Antrag zum Ausdruck , den Arminia Berlin am Burschentag der DB 1976 einbrachte.
Demnach sollte Burschenschaften das ‚Keilen‘ ( d. h. Anwerben ) von Aspiranten ver boten
werden , die nicht an ihrem Hochschulort studierten , da ein auswärts studierender Bur-
schenschafter „in der Regel dem Zugriff seines Bundes entzogen“ sei. Nur am Studien-
ort selbst könne der Bund seine „Erziehungsaufgabe ( … ) wahrnehmen“.172
Auch wo die physische Präsenz des zu Erziehenden sichergestellt ist , sehen die Er-
zieher sich einer zweifachen Herausforderung gegenüber. Diese besteht zum einen in
der kurzen Dauer , in der das Individuum der burschenschaftlichen Prägung tagtäglich
zugänglich ist , zum anderen in der unvermeidlichen Zunahme Verbindungs-externer
Einflüsse auf den Erzogenen ( durch Berufstätigkeit , etwaige Familiengründung , even-
tuellen Ortswechsel usw. ) nach Beendigung des Studiums. Soll die burschenschaft liche
171 Libertas 1957 , 97 f. Ein ähnliches Werk legte Germania Salzburg fast ein halbes Jahrhundert später vor
( vgl. Germania Salzburg 2004 ).
172 BAK , DB 9 , B. VI., Burschentage ( a ), Arbeitsunterlagen zum DB-Burschentag 1976 , 29 f. Der Antrag
wurde letztlich von den Arminen zurückgezogen ( vgl. die Niederschrift des Burschentages im selben
Bestand , 2 ).
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Subtitle
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Author
- Bernhard Weidinger
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 634
- Keywords
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619