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III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist
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Das in Burschenschaften institutionalisierte Zusammentreffen mehrerer Gene-
rationen wäre grundsätzlich dazu angetan , über altersmäßige Heterogenität hinaus
auch eine Vielfalt der Meinungen zu pflegen. Das Gegenteil ist allerdings der Fall ,
wo die Jüngeren über ein Ideal der unbedingten Generationenharmonie zur Imita-
tion der Älteren angehalten werden ( vgl. dazu Abschnitt III.5.6 ). Wo ausgeprägter
Corpsgeist herrscht , beschränkt dies nicht nur die Wahrnehmbarkeit von Bruch linien
durch Außenstehende , sondern letztlich auch die inner- und interbündische Hetero-
genität. In dieselbe Richtung wirken die Auslegung von Werten wie Solidarität und
Loyalität im Sinne des Kritikverzichts und die Propagierung von ‚Geschlossenheit‘
und ‚geistiger Einheit‘ im Angesicht von Außenfeinden und eigener Schwäche. In
einem solchen diskursiven Umfeld steht jede Äußerung von Dissens und Selbstkri-
tik von vornherein unter Verratsverdacht. Als schlichter Hauptgrund für die vorzu-
findende ideologische Homogenität der Burschenschaften in Österreich lässt sich
vor diesem Hintergrund benennen , dass sie ( und nicht etwa Meinungsvielfalt ) ih-
nen als erstrebenswert gilt.
Von der Frage nach Ursachen auf jene nach Konsequenzen überleitend lässt sich
festhalten , dass das Streben nach Geschlossenheit im Inneren wie auch nach außen
sowie die damit verbundenen Praxen sich in vielerlei Hinsicht prägend auf das Bur-
schenschaftswesen in Österreich auswirkten. Die Prävention von Meinungsvielfalt und
die Unterdrückung offenen und kritischen Meinungsaustausches ließen die innerbur-
schenschaftliche Konfliktkultur verkümmern bzw. auf vormodernem Stand verblei-
ben. Nichts illustriert diesen Umstand plastischer als die Praxis der gewaltsamen Form
der Konfliktaustragung im Allgemeinen und der Sanktion nonkonformen Verhaltens
im Speziellen : So erinnert Scheichl das ‚Aufbrummen‘ von Hatzen – die Herausfor-
derung eines Bundes durch einen anderen zu einer Reihe von Mensuren
– als „die üb-
liche Reaktion anderer Burschenschaften gegen einen Bund“, wenn ein Mitglied des-
selben „unorthodoxe Ansichten vertrat“.324 Vergleichsweise subtil nehmen sich dagegen
die Maßnahme der Isolierung devianter Verbindungen ( vgl. den Exkurs zu den Ober-
österreicher Germanen in Unterabschnitt III.4.1 ) oder eine weitere Praxis aus , die öster-
reichische Bünde sowohl untereinander als auch im Verkehr mit bundesdeutschen an-
zuwenden pflegten : die Ausübung von „moralische( m ) Druck“ auf Gegner des eigenen
Standpunktes , indem eine Positionierung im erwünschten Sinne zur „vaterländischen
324 E-Mail vom 11. 2. 2012. Vgl. dazu auch den Brief von Arminia Graz an DB-Funktionär Horst Baier vom
2. 6. 1960 ( BAK , DB 9 , B. VI.15 [ C1 ]), in dem sie diesem mitteilt , dass sie zu einer anstehenden Tagung
mit Verspätung eintreffen werde , „da als Nachspiel unseres DBÖ-Vorsitzes einige Hatzen und Kontra-
hagen [ die individuelle Entsprechung der Hatz , Anm. B. W. ] vom Ostmarken-Kartell zu erwarten bzw.
schon eingetroffen sind“. Zu Hatzen und Contrahagen vgl. den Exkurs zum Duellwesen in Abschnitt
III.5.4.
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Subtitle
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Author
- Bernhard Weidinger
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 634
- Keywords
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619