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III.5 Wandel und Beharrung
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Zwar berichten die Quellen für die Phase der Wiedererrichtung der Korporationen
verschiedentlich durchaus von Diskussionen über die Frage , wie weitgehend man an
die Vorkriegstradition anknüpfen wolle und welche Anpassungen an die veränderten
Bedingungen notwendig seien.364 Als typisch für den Ausgang dieser Debatten ist al-
lerdings das Beispiel von Alemannia Wien anzusehen : Deren Festschrift von 1962 sieht
Zweifel , „ob unsere Formen des akademischen Lebens , unsere Ziele veraltert [ sic ] sind“,
als inzwischen ausgeräumt.365 Vor diesem Hintergrund fielen auch Veränderungsvor-
schläge auf wenig fruchtbaren Boden. Selbst die Forderungen eines burschenschaft-
lichen Meinungsführers wie Günther Berka , der – vgl. Abschnitt III.1.1 – früh u. a. für
ein Zurückfahren der verbindungsstudentischen Verbändestrukturen , Repräsentations-
pflichten und Comment-Regeln plädiert hatte , blieben in ihrer Mehrzahl vorerst ohne
Auswirkungen. Ein 1956 von 0 im ADC vorgeschlagenes Bündel an Reformen wurde
–
obwohl ohnehin v. a. organisatorischer Natur
– in Bausch und Bogen abgelehnt , v. a. die
Grazer Bünde stellten sich fast geschlossen dagegen.366
Tatsächlich vorgenommene Reformen nennt die Liberten-Chronik , erwähnt dabei
aber keinerlei ideologische Innovationen , sondern Maßnahmen wie die Einschränkung
des Paukbetriebs ( d. h. des Fechttrainings ), das Vorgehen „( g )egen Alkoholmißbrauch“
und die Abschaffung des ‚Biercomments‘ ( als Regelwerk für den ritualisierten , kollek-
tiven Alkoholmissbrauch ).367 Teutonen-Chronist Mühlwerth führt dagegen als The-
men für Reformdiskussionen neben Biercomment und Duellwesen auch das Verhält-
nis zum ÖCV und die „Judenfrage“ an.368 Die am schwersten wiegenden Reformen auf
programmatischer Ebene stellten zweifellos das Arrangement mit der österreichischen
Eigenstaatlichkeit ( nicht aber mit der österreichischen Nation )369 und
– damit zusam-
menhängend – die Hinwendung zu Europa dar. Scheichl fand in seiner Linzer Rede
dazu treffende Worte : Die ‚freiheitlichen‘ Akademiker hätten sich nach 1945 zur öster-
reichischen Eigenstaatlichkeit bekannt , wenn auch mehr als „notwendige Konzession
an die Zeit“ denn als Ergebnis „radikaler“ Reflexion.370
364 Vgl. z. B. die Germanenmitteilungen , Februar 1964 , 4 ; Oberösterreicher Germanen 1967 , 125 ; Lindinger
2009 , 73.
365 Alemannia 1962 , 2.
366 BAK , DB 9 , E. 4 [ A1 ], Niederschrift des ADC-Tages 1956 , 8–11.
367 Libertas 1967 , 51 bzw. 57 f.
368 Teutonia 1968 , 111–113. In letzterer Hinsicht fordert Mühlwerth , man müsse „vernünftiger“ werden : Dass „das
Judentum eine biologische , kulturelle und wirtschaftliche Gefahr für unser Volk bildet“, sei „( k )eine Frage“,
doch die Mittel der Vergangenheit zur Abwehr dieser Gefahr hätten sich als untauglich erwiesen ( ebd., 113 ).
369 Vgl. etwa Libertas 1967 , 108 f. oder die Würdigung der völkischen Verbindungen für ihre „Einsicht“ in
das Ende des großdeutschen Traumes durch Ex-FPÖ-Obmann Friedrich Peter ( Peter 1998 , 140 f. ).
370 Germanenmitteilungen , März 1967 , 9. Berka vermochte der „staatlichen Selbständigkeit Österreichs“ so-
gar einen Sinn
– nämlich „ihre Bedeutung für die deutsche Mitte in der Abwehr des Bolschewismus“
–
abzuringen ( paraphrasiert in Libertas 1967 , 109 ).
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Subtitle
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Author
- Bernhard Weidinger
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 634
- Keywords
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619